Netzpolitischer Kongress der SPD: Digitalisierung als Chance
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„Digital ist besser“ hieß 1995 das Debutalbum der deutschen Band Tocotronic. Zwanzig Jahre später hat sich die SPD-Bundestagsfraktion den Titel für ihren zweiten Netzpolitischen Kongress zu Eigen gemacht – aber noch ein Ausrufe- und ein Fragezeichen hinzugefügt. Das ist kein Versehen, wie Thomas Oppermann in seinem Grußwort betonte: Beim Thema Digitalisierung seien eben noch viele Fragen offen.
Und diese offenen Fragen diskutierte am Montag eine bunt gemischte Gruppe. Arbeitsministerin Andreas Nahles betonte in ihrer Keynote-Rede, das Thema digitaler Wandel ginge alle an: Die Digitalisierung sei in vielen Berufen längst angekommen. Das Arbeitsministerium hat im April dazu das Grünbuch „Arbeiten 4.0“ veröffentlicht, Ende 2016 soll ein Weißbuch folgen. „Die Digitalisierung sehe ich als Chance“, sagte Nahles, „sie wirft aber auch Fragen auf“. Zum Beispiel die, wer von den Veränderungsprozessen profitiere. Generell möchte die Arbeitsministerin in Sachen Digitalisierung und Arbeitsleben möglichst wenig gesetzlich regeln.
Überwindung der digitalen Spaltung
Dieser Meinung schloss sich auch das Panel zur Zukunft der Arbeit an. Lothar Schröder, ver.di-Bundesvorstand sagte: „Manche Fragen der Digitalisierung können wir gar nicht nationalstaatlich regeln.“ In der Runde mit der Bundes-Internetbotschafterin Gesche Joost, der Abgeordneten Carola Reimann und dem Personalvorstand der Deutschen Telekom Christian Illek gab er aber dennoch den Mahner: „Die Digitalisierung kostet Arbeitsplätze – darauf muss man sich einstellen.“ Joost hingegen erklärte, die Debatte sei oft zu plakativ: „Wenn wir jetzt die richtigen Weichen stellen, führt das zu mehr Flexibilität in der Arbeitswelt und so auch zu mehr Wohlstand.“ Die größte Herausforderung sieht Joost in der Überwindung der digitalen Spaltung: Es müsse massiv in Weiterbildung und Ausbildung investiert werden, damit Arbeitnehmer zum Beispiel lernen, wie man eine bestimmte Software benutzt – und sie bei der Digitalisierung nicht auf der Strecke bleiben.
Höhepunkt des Kongresses war das Streitgespräch zwischen Constanze Kurz, Sprecherin des Chaos Computer Clubs, und Frank Schmiechen, Chefredakteur von „Gründerszene“. Sie diskutierten darüber, ob Daten das Leben besser machen. Schmiechen findet: „Daten geben uns die Möglichkeit, unsere Umgebung so zu gestalten, wie wir das wollen.“ Kurz sieht das Ganze kritischer: „Wie viel wissen Sie denn darüber, was mit den Daten, die in Ihrer Hosentasche entstehen, passiert?“ Schmiechen will es gar nicht so genau wissen, die Forderung nach absoluter Transparenz hält er für übertrieben: „Wir setzen uns jeden Morgen ins Auto und haben keine Ahnung, wie das Ding funktioniert. Wir wollen immer mündig sein, wenn es um Daten geht. Sind wir es denn in anderen Bereichen unseres Lebens?“ Kurz hingegen versteht unter Mündigkeit im Umgang mit Daten nicht, alles zu durchschauen – sondern „in die Lage versetzt zu werden, mit den Daten das tun zu können, was ich möchte.“ Einig waren Kurz und Schmiechen sich, dass in einer datengetriebenen Welt die Verantwortung jedes Einzelnen zunimmt und dass die Vielfalt der Möglichkeiten, für die wir Verantwortung übernehmen müssen, beängstigend sein kann.
Positive Grundhaltung
Letztlich stand auf dem Kongress die Frage im Mittelpunkt, die Hubertus Heil in seiner Keynote-Rede formulierte: „Wie machen wir aus technischem Fortschritt einen Fortschritt für alle und nicht nur für wenige?“ Diese Frage wird nicht nur die SPD in den nächsten Jahren beschäftigen. Vorhersagen über die digitalisierte Zukunft lassen sich nur schwer machen, weil der Wandel teilweise in einem unglaublichen Tempo geschieht. Ist die Digitalisierung Chance oder Gefahr? Der Netzpolitische Kongress hat gezeigt: Beides. Die Grundhaltung ihr gegenüber sollte aber eine grundsätzlich positive sein – und trotzdem eine, die es erlaubt, mögliche Probleme zu erkennen und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen. Denn noch ist nicht absehbar, ob Tocotronic 1995 Recht hatten: „Digital ist besser/Digital ist besser/Digital ist besser/Für mich.“