Der SPD-Parteivorsitzende, Franz Müntefering, und die Bundesvorsitzende der Jusos, Franziska Drohsel, hatten dazu aufgerufen, dem größten Nazi-Aufmarsch in Europa am vergangenen Samstag
in Dresden entgegenzutreten. Und das Interesse der Jusos an der Demonstration war groß. Auf dem Rückweg hielt der Reisebus der nordrhein-westfälischen Jungsozialisten auf einer Raststätte. Nils
Roschin, stellvertretender Landesvorsitzender der Jusos in NRW, war dabei. Er berichtet, was am vergangenen Samstag an der Autobahn bei Jena passiert ist.
vorwärts.de: Nils, Du warst am vergangenen Samstag mit einigen Jusos auf dem Rückweg von Dresden nach Nordrhein-Westfalen, als ihr von Rechtsradikalen überfallen wurdet. Was ist
passiert?
Nils Roschin: Wir sind mit unsrem Reisebus bei Jena auf die Raststätte Teufelstal gefahren. Dort sind wir ausgestiegen. Einige haben die Toilette, andere den Raststätten-Shop aufgesucht,
der Rest der Gruppe ist im Bus sitzen geblieben. Ich auch.
Kurze Zeit später kamen weitere Busse mit Mitgliedern des DGB und der Linksjugend. Die hatten Banner in den Scheiben hängen. Davon hatte man uns im Vorfeld abgeraten. Deswegen hatte unser
Bus so etwas nicht. Einige sind wie wir im Bus geblieben, einige ausgestiegen. Etwa fünf Minuten später kam ein weiterer Bus - da waren Rechtsradikale drin.
Wie hat sich die Gruppe der Rechtsradikalen verhalten?
Die sind dann ausgestiegen und haben sich auch erst sehr unauffällig verhalten. Haben geraucht, Bier getrunken und in die Ecken uriniert. Vermutlich haben sie dann die Busse mit den
Bannern gesehen. Sie sind dann an unserem Bus vorbei gelaufen, sonst wären wir vielleicht die ersten gewesen, die hätten daran glauben müssen.
Was passierte dann?
Sie haben die beiden Busse mit Parolen und Fäkalsprache beschimpft. Und dann haben sie Flaschen und Steine gegen die Busse geworfen - die sind auch beschädigt worden.
Wie haben die Busfahrer auf die Attacken reagiert?
Die Busfahrer haben diese Busse in Bewegung gesetzt, konnten natürlich nicht losfahren - es waren noch nicht alle zurück - aber haben sie auf dem Rastplatz hin du her bewegt. Daraufhin
haben die Rechtsradikalen irgendwann davon abgelassen.
Wie ist es dann zu den Gewalttaten gekommen?
Die Gruppe der Nazis hat gesehen, dass die ganzen jungen Leute aus dem Rasthaus kamen und zurück in die Busse wollten - und einige Rechtsradikale, maximal zehn, haben sich dann auf sie
gestürzt. Die anderen haben daneben gestanden und Parolen gebrüllt. Oder einfach nur zugeguckt. Dann haben wir die Polizei gerufen, beziehungsweise hatten wir das bereits, als sie die Busse
beschädigten.
Ist die Polizei gekommen? Und wie hat sie Euch beschützt?
Ja, es kam auch eine Streife mit lediglich einem einzigen Polizisten. Der hat sich natürlich nicht getraut auszusteigen. Aber er hat versucht, vom Auto aus das Nötige zu tun. Die
Rechtsradikalen sind dann zurück in ihren Bus, der ist dann losgefahren.
Hat die Polizei den Bus angehalten?
Die Streife hat versucht den Bus zu stoppen, hat es aber nicht geschafft und Verstärkung angefordert, die relativ schnell kam. Ebenso wie der Rettungsdienst.
Sind Jungsozialisten verletzt worden?
Man stellte fest, dass es fünf Verletzte gab. Die Verletzungen schienen zu dem Zeitpunkt nicht so schlimm, wie sie sich später herausstellten. Man hat vor Ort Erstversorgung gemacht, die
Anzeigen von uns aufgenommen und die Zeugenaussagen.
Habt ihr die Verletzten ins Krankenhaus gebracht?
Ja, wir sind mit unseren Leuten und dem kompletten Bus in die Uniklinik nach Jena gefahren. Und haben dort erstmal gewartet. Die Notaufnahme war voll wie bei einer offenen Sprechstunde beim
Hausarzt.
Was haben die Ärzte gesagt? Wie schlimm waren die Verletzungen der Jusos?
Es war nur ein einziger Arzt in der Notaufnahme. Bei einem 18-jährigen stellte sich heraus, dass er Zerrungen im Knie und Prellungen hat und einige Tage nicht auftreten kann. Ein
31-jähriger hatte Schwellungen im Gesicht. Gestern hat er mich angerufen und mir mitgeteilt, dass er noch einmal beim Arzt war. Sein Jochbein ist gebrochen.
Was ist mit den Jugendlichen aus den anderen Bussen passiert?
Bei dem jungen Mann vom DGB hatte man im Krankenhaus auf Gehirnerschütterung getippt. Er bekam dann aber Blutungen aus Nase und Mund und es wurde ein Schädelbasisbruch festgestellt.
Du warst im Bus geblieben - was hast Du in dem Moment gedacht, als Du von dort aus den Überfall auf dem Parkplatz gesehen hast?
Ich hatte keine Hassgefühle oder so. Ich habe nur im ersten Moment gedacht, da musst du jetzt dazwischen gehen. Ich war ja verantwortlich für den Bus der NRW-Jusos.
Dann dachte ich: Diejenigen, die jetzt noch im Bus sitzen, dürfen auf keinen Fall raus laufen - auch nicht, um zu helfen. Sonst gibt es eine Massenschlägerei! Und diejenigen, die nicht in
die Schlägerei verwickelt waren, sollten auch möglichst schnell wieder in den Bus zurück. Außerdem musste den Opfern so schnell wir möglich geholfen werden. Wir hatten ja direkt die Polizei
eingeschaltet und auf sie gewartet. Ich dachte nur, alle in die Busse und schnellstmöglich weg von der Raststätte.
Hat die Polizei die Nazis festgenommen?
Wie wir später den Medien entnehmen konnten, hat die Verstärkung dreizehn Kilometer weiter den Bus gestoppt und die Daten von 41 Insassen aufgenommen.
Würdest Du nach dieser Erfahrung noch einmal zu einer solchen Demo fahren?
Ja, auf jeden Fall. Das würde ich.
Das Interview führte Michelle Schumann
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