Parteileben

NaturFreunde: Warum der Umweltverband mit der SPD hadert

Frieden und Umweltschutz sind die zentralen Themen der NaturFreunde. Der Krieg in der Ukraine stellt beides auf die Probe. Wie geht der Umweltverband damit um?
von Kai Doering · 21. Dezember 2022
 „Frieden in Bewegung“: Tausende NaturFreunde liefen von Hannover bis zum Bodensee.
„Frieden in Bewegung“: Tausende NaturFreunde liefen von Hannover bis zum Bodensee.

Ohne die NaturFreunde hätte es Willy Brandt nie gegeben. Der spätere Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende wurde auf einer Osterfreizeit der Ortsgruppe Lübeck gezeugt. So ist es überliefert. Brandts Mutter ­Martha Frahm war Schriftführerin dieser Gruppe. Willy Brandt wurde selbst später ­Mitglied des Umweltverbands.

Die Anekdote zeigt beispielhaft die enge Verbindung zwischen den 1895 in Wien gegründeten NaturFreunden und der SPD. „Die Zusammenarbeit könnte aber deutlich besser sein“, sagt Michael Müller, viele Jahre Bundestagsabgeordneter der SPD, Parlamentarischer Staatssekretär im Umweltministerium und seit 26 Jahren Vorsitzender der NaturFreunde Deutschlands. „Die SPD muss die Ökologie zu einem Schwerpunkt machen und ein eigenständiges Profil in der Umweltpolitik entwickeln“, fordert er. Dabei dürfte es nicht um „Bevormundung“ gehen wie bei anderen, „sondern um Emanzipation“.

Tourismus als „Akt der Selbstermächtigung“

Emanzipation war es auch, die zur Gründung der NaturFreunde führte. Der Verein hatte das Ziel, arbeitenden Menschen eine Möglichkeit zu geben, ihre karge Freizeit sinnvoll zu gestalten, sich weiterzubilden und in der Natur unterwegs zu sein. Bestehende Wander- und Bergsteiger-Vereine verwehrten Arbeitern damals meist die Mitgliedschaft. Im NaturFreunde-Gruß „Berg frei“ ist dieser Hinweis auf die Geschichte heute noch enthalten. Im August 1905 gründete sich in München die erste deutsche Ortsgruppe.

„Tourismus war für Arbeiter ein Akt der Selbstermächtigung“, erklärt Maritta Strasser, die Bundesgeschäftsführerin. „Die NaturFreunde waren immer eine Bildungs- und Aufstiegsbewegung.“ Heute spiegelt sich das etwa im „Fachbereich Kultur und Bildung“ wider. Fotokurse werden hier ebenso angeboten wie Musikunterricht oder gemeinsame Museumsbesuche. Ein wichtiger Bereich sind auch die fast 400 Naturfreundehäuser, die deutschlandweit als Bildungs- Freizeit- und Erholungseinrichtungen betrieben werden.

Frieden bleibt das zentrale Thema

Für Aufsehen sorgten die NaturFreunde im vergangenen Jahr: Unter dem Motto „Frieden in Bewegung“ liefen Tausende in 55 Etappen rund 1.100 Kilometer von Hannover bis zum Bodensee. Sie wollten damit ein Zeichen setzen für globale Abrüstung und eine neue Entspannungspolitik sowie die Abschaffung von Atomwaffen. Für das kommende Jahr ist eine Fortsetzung geplant, dann grenzüberschreitend von Straßburg in Frankreich bis in das frühere Konzentrationslager Theresienstadt in Tschechien. „Wir sind auch heute zutiefst davon überzeugt, dass Frieden die wichtigste Aufgabe ist, gerade im Krieg wie in der Ukraine, wo die Sprache des Militärs jede Vernunft erdrückt“, sagt der Vorsitzende Michael Müller. „Frieden bleibt das zentrale Thema.“

Die Folgen des Kriegs in der Ukraine waren für den Verband ein doppelter Schock. Dass nun 100 Milliarden Euro extra in die Bundeswehr fließen sollen, sehen viele kritisch. „Das Konzept, Sicherheit allein durch das Militär zu gewährleisten, funktioniert nicht“, ist Geschäftsführerin Maritta Strasser überzeugt. Mindestens ebenso schwer wiegen hier aber die energiepolitischen Folgen. „Die NaturFreunde haben schon 1953 für den Atomausstieg gekämpft“, erinnert Michael Müller. Klar, dass sie den Weiterbetrieb von drei Atomkraftwerken ebenso kritisch sehen wie die Nutzung der Kohle.

100.000 Mitglieder als Ziel

Zumal beides aus Sicht der NaturFreunde nicht nötig wäre, hätte man früh genug die richtigen Weichen gestellt. „Ich spüre eine ungeheuere Wut, dass die Erneuerbaren Energien von früheren Regierungen so ausgebremst wurden“, sagt Maritta Strasser – mit Blick auf die Energiesicherheit ebenso wie mit Blick aufs Klima. „Es wird keinen Klimaschutz ohne soziale Gerechtigkeit geben“, ist Michael Müller überzeugt und kommt damit wieder zur SPD. „Die Umweltbewegung hat keine gesellschaftliche Idee, die SPD schon.“ Das müsse die Partei viel stärker nutzen. „Wir müssen beim Klimaschutz auch über Umverteilung sprechen“, ist Müller überzeugt. Die NaturFreunde hätten nicht umsonst den demokratischen Sozialismus in ihrer Satzung stehen, werden auch die „grünen Roten“ genannt. Um lauter zu werden, wollen sie nun wachsen. 65.000 Mitglieder haben sie zurzeit. 2025 sollen es 100.000 sein.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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