Natascha Kohnen: „Seehofer sollte kleinere Brötchen backen“
Sie sind vor wenigen Tagen mit 94,8 Prozent der Stimmen zur Spitzenkandidatin der Bayern-SPD gewählt worden. Ihre Partei setzt also große Hoffnung in Sie. Haben Sie da keine Angst, Ihre Genossen zu enttäuschen?
Das Ergebnis zeigt vor allem große Geschlossenheit. Eine Person alleine kann nicht alles richten, wir schaffen das nur gemeinsam. Das wissen unsere Mitglieder auch. Alle, mit denen ich nach der Nominierung gesprochen habe, haben auch gesagt: Wir packen mit an.
In den aktuellen Umfragen sieht es allerdings nicht so gut aus für die bayerische SPD, sie liegt bei 14 bis 15 Prozent. Wie wollen Sie ihre Partei aus dem Tief herausholen?
Die Situation der Partei war nicht einfach in den letzten Monaten. Wir haben uns ja auch viel Zeit genommen für die Debatte um die Groko, da waren viele Emotionen drin, auch durchaus ein Herzzerreißen. Das war keine einfache Zeit für die Partei – das hat sich in den Umfragen widergespiegelt. Wir haben auch nicht immer ein gutes Bild abgegeben in den letzten Wochen, das muss man auch dazusagen. Es ist mit dem Mitgliedervotum aber nun wirklich gelungen, einen Punkt zu setzen. Jetzt müssen wir nach vorne schauen und hier in Bayern im Landtagswahlkampf die Themen nach vorne stellen.
Was sind das für Themen?
Thema Nummer eins ist Wohnen. Das wird die entscheidende soziale Frage der nächsten Jahre sein. Die Frage ist: Können sich die Menschen in Zukunft ihr Dach über dem Kopf noch leisten? Eine andere Frage ist: Wie sieht die Arbeit der Zukunft aus? Das ist für uns ein großes Thema. Und natürlich: Alles rund um die Familie. Wie sieht das mit der Vereinbarkeit von Kindern und Beruf aus? Wie komme ich als Alleinerziehende gut durchs Leben? Bei allen diesen Punkten sehe ich, dass der Koalitionsvertrag im Bund und unser Landtagswahlkampf in Bayern gut ineinandergreifen.
Sie haben den Koalitionsvertrag angesprochen: In dieser Woche geht es offiziell los mit der Groko. Zugleich fordern Sie als Vize-Chefin der SPD eine „härtere Gangart“ gegen die Union. Wie passt das zusammen?
Die härtere Gangart lässt sich klar definieren: Wenn sich die Union an Vereinbarungen nicht hält, wie es ja auch im letzten halben Jahr etwa bei der Glyphosatentscheidung des Bundeslandwirtschaftsministers geschehen ist, dann wird das mit uns nicht gehen. So etwa ist ein No-Go und das muss man von vornherein klarmachen.
Denken Sie, Ihr Koalitionspartner hat das auch verstanden? Oder wird man das erst noch sehen?
Nein, das wird man nicht sehen, sondern wir als Sozialdemokraten müssen klar machen: Wenn man Vereinbarungen auf Augenhöhe trifft, dann muss man diese auch einhalten. Alles andere ist für uns nicht machbar.
Was heißt das konkret, zum Beispiel bezogen auf den „Masterplan Abschiebungen“, den der neue Bundesinnenminister Horst Seehofer angekündigt hat?
Naja, Seehofer sollte kleinere Brötchen backen. Ich halte wenig davon, dass sich schon einer auf die Brust trommelt, bevor er überhaupt Minister ist. Die Menschen wollen nicht das laute Rausrufen, das fast schon populistische Rumgeplärre von irgendwelchen Inhalten. Die Leute wollen, dass die Politik ruhig, sachlich und ernsthaft an die Dinge herangeht, die zu lösen sind. Und das ist etwas, das den politischen Stil betrifft.
Sie kritisieren den politischen Stil Seehofers. Wie stehen Sie aber inhaltlich zum „Masterplan Abschiebungen“?
Es geht doch in dieser Diskussion nicht nur um Abschiebungen. Der zentrale Punkt ist doch, dass die Asylverfahren in deutlich schnellerer Form abgewickelt werden als bisher. Und dass eben auch die Schutzsuchenden wissen, woran sie sind – aber eben auch, dass alle wissen, was passiert in solchen Verfahren. Für uns als SPD ist wichtig: Menschen, die zu uns geflohen sind, müssen schnell arbeiten dürfen, schnell die Sprache erlernen, das sichert den sozialen Zusammenhalt. Ich würde Seehofer einfach empfehlen, seine politische Erfahrung zu nutzen, um mit Augenmaß und Sachlichkeit an die Dinge heranzugehen in der Innenpolitik.
Die SPD hat den Plan gefasst, zusammen mit der Union zu regieren – und sich zugleich als Partei grundlegend zu erneuern. Wie ist das zu schaffen?
Ich kann als bayerische SPD-Vorsitzende sagen: Weder Opposition noch Regierung sind eine Voraussetzung dafür, ob man sich erneuert oder nicht. Das sind zwei Paar Stiefel. Aber klar ist: Die Partei muss sich neu aufstellen. Das geht sehr wohl in einer Regierungsbeteiligung. Was uns aber vor allem gelingen muss, ist dass wir die Partei nicht wegdrücken, wenn wir in Regierungsverantwortung sind. Das ist ja zum Teil passiert in der Vergangenheit, wie zum Beispiel bei den Beschlüssen zu CETA, wo es in Richtung Basis hieß: Nein, ihr müsst aber jetzt! Das darf es in Zukunft nicht mehr geben.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.