Natascha Kohnen: Ein Aufstieg aus dem Bauch heraus
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Ein Ärgernis hat Natascha Kohnen in die Politik gebracht: Sie war genervt, dass es in ihrer Gemeinde keine anständige Kinderbetreuung gab. Ende der 1990er war sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern nach zwei Jahren im Ausland ins oberbayerische Neubiberg zurückgekehrt – einen kleinen Ort im Münchner Umland, wo die Menschen freundlich „Grüß Gott“ sagen, wenn sie sich auf dem Marktplatz begegnen. Die studierte Biologin wollte zurück in ihren Job als Lektorin bei einem Schulbuchverlag. Da brauchte sie jemanden, der auf die Kinder aufpasst. Doch im Rathaus wurde sie abgewiesen. Für eine Kinderkrippe gebe es in der Gemeinde keinen Bedarf, erklärte ihr ein Beamter. Die Frauen wollten doch ohnehin nur ihren Nachwuchs irgendwo unterstellen, um nachmittags shoppen zu gehen, meinte er.
Per Zufall in die Politik
„Das hat mich unglaublich genervt“, erinnert sich Kohnen. „Dass es keine Kinderkrippe im Ort gibt, das war für mich unvorstellbar.“ Daran wollte sie etwas ändern. So entstand der Gedanke, in die Politik zu gehen. Ihre Karriere, erinnert sich die Landesvorsitzende der bayerischen SPD heute, war von Anfang an von Zufällen bestimmt. Einer dieser Zufälle ereignete sich nur wenige Tage nach ihrem frustrierenden Erlebnis im Rathaus. Kohnen kam gerade aus dem Supermarkt und lief über den Marktplatz. Sie schleppte eine Einkaufstüte, war voll bepackt mit Lebensmitteln, in der Hand einen Kopfsalat, auf dem Arm hielt sie ihre kleine Tochter. „Kann ich Ihnen etwas abnehmen?“, hörte sie auf einmal eine Frauenstimme sagen. Es war Johanna Rumschöttel, SPD-Kandidatin für das Amt der Bürgermeisterin in Neubiberg.
Die beiden Frauen verstanden sich auf Anhieb. Natascha Kohnen trat kurz darauf in Rumschöttels Wahlkampfteam ein – die wurde anschließend mit 55 Prozent der Stimmen zur Bürgermeisterin gewählt. Kohnen, gerade noch frustriert von der fehlenden Kinderbetreuung in ihrer Gemeinde, hatte plötzlich eine gute Freundin im Rathaus.
Steiler Aufstieg in der Bayern-SPD
Nach dem Engagement im Kommunalwahlkampf 2000 folgte für Natascha Kohnen eine bemerkenswerte Karriere in der bayerischen Politik: 2001 trat sie in die SPD ein, schon im darauffolgenden Jahr wurde sie in den Gemeinderat gewählt. Sie wurde Ortsvereinsvorsitzende, stieg in den Kreisvorstand der SPD München-Land auf und errang 2008 ein Landtagsmandat. Ein Jahr später wurde sie Generalsekretärin der Bayern-SPD. Und im Mai 2017: Landesvorsitzende.
„Ich glaube, ich hab schon viel Energie“, sagt Kohnen. Wenn sie über ihre Laufbahn redet, klingt das trotzdem nicht nach einem rasanten „Marsch durch die Institutionen“. Ausgefahrene Ellenbogen, das ist nicht ihr Ding. Sie erklärt ihren Erfolg lieber als eine Folge glücklicher Momente – so wie die zufällige Begegnung mit der SPD-Lokalpolitikerin Johanna Rumschöttel auf dem Marktplatz. Die beiden sind bis heute eng befreundet.
Zwischen Kampf und Kompromiss
Kohnen sagt, sie sei einfach häufig zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen, habe immer schnell Unterstützer für ihre Ideen gefunden. Und sie habe sich immer auf ihr Bauchgefühl verlassen – bis heute.
In den Schoß gefallen sind ihr die Erfolge jedoch nicht: „Ich musste bei allem, was ich gemacht habe, gegenkandidieren“, sagt sie. Das zeigt, dass sie vor offenen Auseinandersetzungen nicht zurückschreckt. Deshalb fand sie auch die Idee gut, die bayerischen SPD-Mitglieder über den Landesvorsitz abstimmen zu lassen. Die dankten ihr die Offenheit: Bei der Mitgliederbefragung im Frühjahr 2017 erhielt sie auf Anhieb mit fast 54 Prozent eine klare Mehrheit – gegen fünf Mitbewerber.
Bei jedem politischen Streit stehe für sie eines im Vordergrund, betont Kohnen: der gegenseitige Respekt. An Schlammschlachten habe sie sich noch nie beteiligt. Das wäre wohl auch gegen ihr Naturell. Die Wähler wollen keine verbissenen Polit-Profis, die sich andauernd in Grabenkämpfen verlieren, sagt sie. „Die Leute haben die Schnauze voll davon.“ Es sei nun mal Aufgabe der Politik, Kompromisse zu finden.
Ziele zu Erfolgen machen
Als neue Landeschefin will Natascha Kohnen die Kommunikation in der SPD verbessern, sie will die Partei „wirklich öffnen“ und die Mitglieder mit neuen Ideen experimentieren lassen. Als sie vor 17 Jahren anfing mit der Politik, zählte der Ausbau von Kinderkrippen in Bayern als neue Idee – heute ist die Forderung nach flächendeckender Kinderbetreuung selbstverständlich. Auch dank Sozialdemokratinnen wie Natascha Kohnen. Solche Erfolge sind für die neue Chefin der Bayern-SPD die beste Motivation.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.