Natalie Pawlik: Türöffnerin für Russlanddeutsche
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Fast hätte sie etwas Besonderes geschafft. Denn mit dem Einzug in den Bundestag wäre Natalie Pawlik vor vier Jahren die jüngste Abgeordnete im Parlament gewesen. Damals erreichte sie beachtliche 29,2 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis Wetterau I in Mittelhessen. „Wenn der Bundestrend das letzte Mal schon so gewesen wäre, hätte ich es damals bereits direkt geschafft“, ist sie sich sicher. Diesmal war es soweit: Pawlik steigerte ihr Ergebnis noch einmal auf knapp 30 Prozent und gewann das Direktmandat. Seit der konstituierenden Sitzung am 26. Oktober ist die frühere Bezirksvorsitzende der südhessischen Jusos Bundestagsabgeordnete. Am 13. April wurde sie als Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten berufen.
Aufgewachsen in Sibirien
Innerhalb der SPD-Fraktion gehört Pawlik mit 29 Jahren zwar immer noch zu den Jüngsten. Allerdings gibt es nun eine ganze Reihe weiterer junger sozialdemokratischer Abgeordneter. „Vor vier Jahren war es richtig exotisch, dass ich mit 24 kandidiert habe. Damals war ich ziemlich auf mich alleine gestellt.“ Diesmal gab es deutlich mehr Austausch. Vor allem freut es Pawlik, dass die Fraktion nicht nur jünger, sondern auch vielfältiger geworden ist: „Ich finde das sehr schön, dass wir so viele sind und auch so vielfältig sind. Ich fand das sehr bewegend zu sehen, weil man dann auch nicht mehr der exotische Mensch ist, der in Sibirien geboren wurde.“
Im sibirischen Wostok kam sie 1992 zur Welt. Ihre Eltern waren als Selbstversorger in der Landwirtschaft tätig. „Ich hatte eine eigene Kuh als Kind. Sie hieß Sternschnuppe, war rot und hatte einen weißen, sternförmigen Fleck auf der Stirn“, erinnert sie sich an ihre Kindheit in Russland. Als Pawlik sechs Jahre alt ist, zieht die Familie ins mehr als 4.500 Kilometer entfernte Bad Nauheim. Der Anfang ist schwierig. Weil ihr Abschluss als Erzieherin nicht anerkannt wird, muss Pawliks Mutter zunächst in unterschiedlichen Berufen arbeiten: als Rosenverkäuferin an der Straße, Reinigungskraft oder Zimmermädchen.
Russlanddeutsche nicht der AfD überlassen
„Diese Erfahrung prägt mich auch in meiner politischen Arbeit“, sagt Pawlik. Sie will ein Sprachrohr sein für Russlanddeutsche. „Meine Kandidatur ist ein Stück weit auch ein Türöffner für russlanddeutsche Anliegen“, sagt sie. Sie erlebe einige Menschen, die durch sie angefangen hätten, sich mit Politik zu beschäftigen. „Das freut mich total.“ Ihre politische Arbeit begann früh. Bereits 2011, ein Jahr nach ihrem Parteieintritt, wurde sie für die SPD Stadtverordnete in Bad Nauheim. Inzwischen ist sie dort Fraktionsvorsitzende.
Bei ihrer Arbeit im Bundestag liegt ihr vor allem das Thema Ernährung und Landwirtschaft am Herzen, auch wenn sie dafür teilweise ungläubige Reaktionen erntet. „Ich glaube, es ist eine unserer wichtigsten Zukunftsaufgaben, dass wir die Bevölkerung durch die regionale Herstellung von Lebensmitteln ernähren können.“ Dieses Thema ist aus ihrer Sicht gesellschaftspolitisch, arbeitspolitisch und klimapolitisch relevant. Sie ist deshalb froh, es in ihren Wunsch-Ausschuss für Ernäherung und Landwirtschaft geschafft zu haben.
Achtmal von Bad Nauheim nach Berlin
Alternativ hätte sie sich auch eine Mitarbeit im Sportausschuss vorstellen können. Mit dem EC Bad Nauheim ist ein Eishockey-Zweitligist in ihrer Heimatstadt angesiedelt. Und auch Pawliks Wahlkampf lief sportlich. Unter dem Titel „Lauf mit Natalie in den Bundestag“ rief sie dazu auf, gemeinsam zu laufen, Kilometer zu sammeln und so die Strecke von Bad Nauheim bis Berlin zu bewältigen. Im Juni startete das Projekt, bis September wollte sie die 515 Kilometer mit ihren Mitstreiter*innen zusammen haben. Doch es ging deutlich schneller. „Es lief gut an, aber viel zu schnell. Innerhalb der ersten Woche hatten wir die 515 Kilometer zusammen“, sagt Pawlik.
Egal, laufen wir die Strecke eben noch mal und noch mal und noch mal. Letztlich waren es so viele Kilometer, dass die Distanz zwischen Mittelhessen und Berlin mehr als achtmal bewältigt war. Pawlik selbst ist passionierte Läuferin. „Während Corona bin ich mal innerhalb von vier Wochen drei Halbmarathons gelaufen“, berichtet sie. So kam sie auf die Idee, ihre beiden Leidenschaften – Politik und Laufen – zu verbinden. Sie besuchte Lauftreffs, joggte gemeinsam durch die Natur und quatschte dabei über Politik. „Das Schöne war, dass einige sehr, sehr viel gelaufen sind und andere nur mit dem Hund spazieren waren, aber trotzdem mitgemacht haben“, sagt Pawlik.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo