Nach Nahles-Rücktritt: Basis-Initiative fordert Mitgliederbefragung für SPD-Vorsitz
Ute Grabowsky / photothek.net
„Es ist die Stunde Null“, heißt es auf der Homepage von SPD Plus Plus, einer Initiative, die die SPD strukturell erneuern möchte. „Man muss überlegen, wie man im 21. Jahrhundertin einer zukunftsfähigen Partei Leute aufstellen kann, wie man das Potenzial, das in der SPD da ist, zeigen und vernünftig einbinden. Dafür braucht es Transparenz und ein offenes Verfahren“, forderte Henning Tillmann, einer der Mitbegründer von SPD Plus Plus und Sprecher des SPD-nahen Digitalvereins D64, am Sonntag im Interview mit dem ZDF.
„Spannende Mitglieder zeigen
Auf ihrer Homepage fordert SPD Plus Plus eine Mitgliederbefragung. Den entsprechenden Aufruf der Initiative haben seit Sonntag bereits mehrere hundert Personen aus ganz Deutschland unterzeichnet. Bereits etwa eineinhalb Stunden nach Andrea Nahles' Ankündigung war der Aufruf online. Darin heißt es unter anderem: „Das ist ein Moment, der nicht mit Gelerntem und althergebrachten Ritualen vergehen darf. In dem nicht Hinterzimmer und die, die am längsten dabei sind, entscheiden, was passiert. Wir brauchen stattdessen einen Moment der Befreiung vom Alten.“
Nur ein offenes Verfahren ermögliche es, dass neue Leute ihre Ideen und Visionen präsentieren könnten. Zudem werde ein offenes Verfahren aufzeigen, „welche spannenden Mitglieder die SPD hat und welche Kompetenz in der Partei steckt“. Auch erhofft sich die Initiative eine höhere Legitimation der künftigen Parteiführung durch eine Mitgliederbefragung. Zugleich könne ein offenes Verfahren der Anfang sein „für neue politische Inhalte, Projekte, Ziele, Visionen und Programme sowie langfristige Strukturänderungen, die Innovation und Legitimation schaffen“.
Urwahl bislang nicht vorgesehen
Im Organisationsstatut der SPD ist eine Urwahl des Parteichefs bislang nicht vorgesehen. Nur bei der Bestimmung des Kanzlerkandidaten kann die Basis unmittelbar an Personalentscheidungen auf höchster Ebene mitentscheiden. Ansonsten sehen die Parteiregeln Mitgliedbefragungen nur für Sachfragen vor: „Ein Mitgliederentscheid kann den Beschluss eines Organs ändern, aufheben oder einen solchen Beschluss anstelle eines Organs fassen.“ Wollen die Sozialdemokraten ihren Parteichef oder ihre Parteichefin direk per Urwahl bestimmen, müsste also das Statut der SPD geändert werden.
Für Henning Tillmann ist das nicht unbedingt notwendig. Wichtig sei es trotzdem, in einem „offenen und transparenten Verfahren das Votum der Mitglieder einzuholen“, wie er im Gespräch mit dem „vorwärts“ erklärt. „Wichtig ist, dass es eine Auswahl gibt und dass die Mitglieder beispielsweise durch Online-Konferenzen vernünftig beteiligt werden. Wir müssen uns jetzt Zeit nehmen für die Entscheidung. Die SPD sollte sich nicht nur mit sich selbst beschäftigen, aber im Augenblick muss sie es“, fordert Tillmann.
In der jüngeren Geschichte der SPD hat es schon einmal eine Art Urwahl des Parteivorsitzenden gegeben. Im Juni 1993 setzte sich Rudolf Scharping mit einer relativen Mehrheit von 40,3 Prozent der Stimmen gegen Gerhard Schröder (33,2 Prozent) und Heidemarie Wieczorek-Zeul (26,5 Prozent) durch. Die Abstimmung war eine rechtlich unverbindliche Empfehlung der Basis an die Delegierten des darauffolgenden Sonderparteitags. Die wählten Scharping dann offiziell zum Vorsitzenden. Der Pfälzer blieb gut zwei Jahre lang SPD-Chef.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo