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Nach der Katastrophe: Wie ein Sozialdemokrat an der Ahr mitanpackt

Eine acht Meter hohe Flutwelle hat in der vergangenen Woche große Teile des Ahrtals zerstört. Seitdem ist Sozialdemokrat Christoph Schmitt mit vielen anderen auf den Beinen, um aufzuräumen und den Menschen vor Ort zu helfen.
von Jonas Jordan · 20. Juli 2021
Christoph Schmitt (rechts im Bild) ist seit Donnerstagmorgen mit Freunden und Kollegen im Dauereinsatz.
Christoph Schmitt (rechts im Bild) ist seit Donnerstagmorgen mit Freunden und Kollegen im Dauereinsatz.

„Eigentlich dachte ich, es sind alle vorbereitet. Das wird ein normales Hochwasser“, sagt Christoph Schmitt im Gespräch mit dem „vorwärts“. Normalerweise ist die Ahr ein ruhiger, 85 Kilometer langer Fluss, der sich malerisch durch das nach ihr benannte Tal schlängelt. Der Pegelstand beträgt in der Regel kaum mehr als einen Meter, bei früheren Hochwassern wurden vielleicht mal 4,50 Meter erreicht. Doch die acht Meter hohe Flutwelle, die in der vergangenen Woche in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag das Ahrtal erreichte, überstieg alles, was die Menschen in der Region bis dahin erlebt hatten. Vor allem richtete sie zerstörerische Schäden im Grenzgebiet von Rheinland-Pfalz zu Nordrhein-Westfalen an.

Um fünf Uhr morgens kam der Anruf

Schmitt war bis zur Katastrophe mitten im Wahlkampf. Bei der Bundestagswahl am 26. September tritt er für die SPD als Direktkandidat im Wahlkreis Ahrweiler an. Noch am Mittwochabend war er zu Gast bei einem Ortsverein in Bad Neuenahr-Ahrweiler. „Beim Abschied hatte ich noch zu den Genossinnen und Genossen gesagt: Passt auf euch auf! Es wird wahrscheinlich eine ungemütliche Nacht. Aber man hat sich nicht annähernd dieses Ausmaß vorstellen können“, berichtet er. Am Donnerstagmorgen klingelte gegen fünf Uhr sein Handy. Bei Freunden war der Keller voll gelaufen. Der 34-Jährige fuhr direkt los nach Bad Neuenahr. „Dort habe ich zum ersten Mal das Ausmaß der Katastrophe gesehen, aber den ganzen Tag gebraucht, um das zu realisieren, weil es vom Ausmaß her einfach unvorstellbar ist.“

Später am Tag rückte die Bundeswehr in Bad Neuenahr ein. Schmitt ging Richtung Ahr und stellte fest, dass keine Brücke mehr stand. Autos lagen quer auf den Dächern. Menschen wurden aus Häusern geborgen. Für ihn war klar: An Wahlkampf ist nicht mehr zu denken. Eine für Freitag geplante Veranstaltung mit der SPD-Landtagsabgeordneten Susanne Müller in Sinzig sagte er ab. Den Ort traf es besonders schwer. In einer Behinderteneinrichtung ertranken zwölf Bewohner*innen. „Das war dramatisch“, sagt Schmitt, der später in der betreffenden Straße bei Aufräumarbeiten half.

Seit Donnerstag im Dauereinsatz

Ohnehin ist der Sozialdemokrat seit Donnerstagmorgen im Dauereinsatz. Von seinem Arbeitgeber hat er dafür fünf Tage Sonderurlaub erhalten. In einer Gruppe von zehn Personen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis ist er von morgens bis abends unterwegs, um im Ahrtal aufzuräumen. Das ist nicht nur physisch fordernd, wie Schmitt berichtet: „Wenn wir abends nach Hause kommen, setzen wir uns erst mal zusammen, essen was, trinken ein Bier und reden darüber. Denn es nimmt einen emotional schon sehr mit, dieses Elend hier zu sehen. Wenn man die privaten Sachen aus den Häusern räumt, die verschlammt sind, wenn man auf einmal Hochzeitsfotos in den Händen hält, die durch den Gulli angespült werden, macht das schon etwas mit einem.“

Natürlich sei klar, dass die Flutkatastrophe auch eine politische Dimension habe, sagt Schmitt: „Wer immer noch glaubt, dass das hier nicht auf den Klimawandel zurückzuführen ist, der soll einfach mal hier vorbeikommen. Diese Ereignisse werden mehr. Sie werden schlimmer.“ Doch geht es ihm aktuell nicht um politische Konsequenzen. Was jetzt in der Region zähle, sei schnelle Hilfe, durch finanzielle Unterstützung von Bund und Land, aber auch vor Ort beim Aufräumen. Der anschließende Wiederaufbau werde eine Herausforderung für die nächsten Jahre.

Große Solidarität zu spüren

Gerade deshalb sei es schön, die große Solidarität in der Region zu spüren. Von einem bewegenden Beispiel am Dienstagvormittag berichtet Schmitt: „Ein über 70-jähriger Mann stand alleine vor seinem Haus. Wir kannten ihn nicht und haben gefragt, ob wir ihm helfen können. Da haben wir mitangepackt. Nach zehn Minuten hat er angefangen zu weinen, weil er so überwältigt war, dass fremde Menschen ihm helfen.“ Das sei an jeder Ecke zu beobachten. „Die Solidarität ist enorm. Das ist Wahnsinn, aber es ist auch die einzige Stütze, die viele Menschen aktuell haben“, sagt Schmitt.

Mindestens die komplette Woche wird er noch rund um die Uhr damit beschäftigt sein, vor Ort mitanzupacken und den Menschen zu helfen. Danach will er sich mit seinem Team zusammensetzen und besprechen, wie der Wahlkampf weitergehen kann. „Ich weiß es wirklich nicht, wie ich damit umgehen soll. Es gibt noch so viele Dinge, die liegen geblieben sind. Meine Garage ist voll mit Wahlplakaten, die ich eigentlich an die Ortsvereine verteilen wollte, aber ich kann mir gerade wirklich nicht vorstellen, dass hier in der Straße, in der ich gerade aufräume, in zwei Wochen Wahlplakate hängen sollen“, sagt er.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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