Parteileben

Mustafa Güngör: „Die SPD muss Ansprechpartnerin für alle sein.“

Per Mitgliedervorum bestimmt die Bremer SPD ihren neuen Vorsitzenden. Bürgerschaftsmitglied Mustafa Güngör kandidiert – auch weil er „sehr von sozialdemokratischer Politik profitiert“ hat. Im Interview mit vorwärts.de sagt er, wie er die Bremer SPD reformieren will.
von Kai Doering · 13. April 2016
Will Bremer SPD-Vorsitzender werden: Mustafa Güngör
Will Bremer SPD-Vorsitzender werden: Mustafa Güngör

Warum wollen Sie Vorsitzender der Bremer SPD werden?

Die SPD erlebt gerade schwierige Zeiten – auch in Bremen. Ich bin seit 16 Jahren Mitglied und habe sehr von sozialdemokratischer Politik profitiert. Ich habe der Partei viel zu verdanken. Davon möchte ich jetzt gerne etwas zurückgeben. Der aktuelle Vorsitzende Dieter Reinken tritt ja nicht für eine weitere Amtszeit an, weil der das Ruder gerne an einen Jüngeren weitergeben möchte. Ich bin 38, auch das passt also.

Sie haben es angesprochen: Die Bremer SPD hat es zurzeit nicht leicht, bei der Bürgerschaftswahl im vergangenen Jahr hat sie ordentlich Federn gelassen. Wie sehen Sie die Situation in Bremen?

Wir müssen die Menschen wieder davon überzeugen, dass „die da oben“ eben nicht „sowieso machen, was sie wollen“. Und das gilt insbesondere in den Stadtteilen, die in einer sozial schwierigen Situation sind. Ich bin in so einem Stadtteil aufgewachsen und kenne die Probleme aus eigener Erfahrung. Die SPD muss den Menschen die dort wohnen wieder eine Stimme geben und ihnen zeigen, dass sie sich auf uns verlassen können. Auch das ist für mich ein Grund, als Bremer SPD-Vorsitzender zu kandidieren.

Wieso verlassen sich die Menschen dort nicht mehr auf die SPD?

Die Mitte der Bevölkerung ist in den letzten Jahren sehr gut in und durch die SPD vertreten worden. Das ist auch gut und richtig. Aber die Randlagen unserer Stadt, wo die eigentlichen Probleme sind, haben wir zu lange vernachlässigt. Das müssen wir schnell ändern.

Was Sie für Bremen beschreiben, trifft auch auf die SPD insgesamt zu. Die vergangenen drei Landtagswahlen haben das gezeigt. Wie kann die Partei Vertrauen zurückgewinnen?

Viele haben das Vertrauen verloren, dass Politik überhaupt etwas bewirken kann. Die SPD muss wieder erster Ansprechpartner für die Probleme der Menschen sein, vor allem aber Lösungen für diese Probleme anbieten, statt sie nur zu analysieren. Wir haben den Menschen viel zu lange erklärt, was alles nicht mehr funktioniert. Die Menschen wollen aber wissen, was trotz knapper Kassen möglich ist und sie möchten, dass ihre Probleme gelöst werden. Das kann der Zustand einer Straße sein. Das kann die Lehrerversorgung an der Schule der Kinder sein oder der fehlende Kindergartenplatz. Olof Palme hat gesagt: „Politik heißt: etwas wollen.“ Und wir Sozialdemokraten wollen Veränderung. Deshalb muss die SPD ihr Ohr wieder stärker an den Menschen haben. Die Verankerung in den Stadtteilen hat die SPD immer stark gemacht – und darauf können wir in Bremen noch vielerorts bauen. Aber das müssen wir wieder für das gesamte Bundesland erreichen. Die SPD muss Ansprechpartnerin für alle sein.

Wie muss die Partei sich dafür verändern? Sie haben ja erklärt, dass Sie „die Arbeit innerhalb der SPD wieder attraktiver“ machen wollen.

Wir haben zum Teil sehr festgefahrene Strukturen in unserer Partei. Gerade im Bereich der sozialen Netzwerke haben wir eine Menge nachzuholen. Wir müssen uns besser aufstellen, denn dort finden viele Diskussionen statt. Natürlich gewinnt man bei uns keine Wahlen über Twitter, Facebook und Co. Trotzdem muss die SPD neuere Formen der Kommunikation finden, ohne dabei das persönliche Gespräch zu vernachlässigen. Wir sollten uns auch Gedanken darüber machen, ob wir neben der traditionellen Struktur mit Ortsvereinen und Arbeitsgemeinschaften nicht auch eine digitale Vertretung einrichten sollten, wie es sie mit dem digitalen Ortsverein ja schon einmal in der SPD gegeben hat. Damit würden wir das Rad nicht neu erfinden, aber den Hetzern im Netz konstruktiv etwas entgegenstellen. Und wir sollten auch über lieb gewonnene Rituale innerhalb der SPD nachdenken. Lange Reden auf Parteitagen, bei denen die Delegierten nach wenigen Minuten auf Durchzug schalten, gefallen niemandem, sondern schrecken eher ab. Auch die Sprache der Partei wirkt häufig abgehoben. In kleineren Fachkreisen können wir gerne intellektuelle Debatten führen. Die breite Masse interessiert das aber nicht. Auch einen zwölfseitigen Antrag braucht kein Mensch. Die Zilele der Sozialdemokratie lassen sich kurz, knapp und präzise beschreiben – so wollen es die Menschen.

Was bedeutet das für die Sitzungen der Partei?

Ich bin ein großer Fan von öffentlichen Mitgliederversammlungen. Wir haben ja das Problem, dass sich auch viele Mitglieder nicht mehr an der Arbeit und der Willensbildung innerhalb der SPD beteiligen. Wenn aber die Mitglieder nicht mehr zur Partei kommen, muss die Partei eben zu den Mitgliedern kommen. Deshalb sollte die Landesorganisation stärker in die Stadtteile gehen, um dort über die Themen, die den Menschen unter den Nägeln brennen, zu diskutieren – mit unseren Mitgliedern, aber gern auch mit interessierten Bürgern. Die SPD sollte wieder stärker als Wortführerin bei wichtigen Themen wahrgenommen werden. Wichtig ist dabei übrigens auch, dass sich SPD-Mitglieder auch öffentlich wieder zu ihrer Mitgliedschaft bekennen. Auch so wird die Partei sichtbarer.

Eine gute Gelegenheit zur Beteiligung bietet auch das Mitgliedervotum über den Parteivorsitz. Noch bis zum Freitag sind die 4300 Mitglieder der Bremer SPD aufgerufen, ihre Stimme für Sie oder Sascha Karolin Aulepp abzugeben. Hat das Votum die Partei mobilisiert?

Eine Auseinandersetzung über das Führungspersonal tut der SPD gut – solange sie eine sachliche Diskussionsgrundlage hat. Das ist bei uns in Bremen der Fall. Das Mitgliedervotum und die damit verbundenen Foren, bei denen Sascha und ich uns vorgestellt und mit den Mitglieder diskutiert haben, haben viele interessiert und die Basis mobilisiert. Ich bin sehr dafür, die Mitglieder auch zu Sachthemen zu befragen und sie stärker als bisher an Entscheidungen zu beteiligen. Für das Votum über den Vorsitz hoffe ich auf eine hohe Wahlbeteiligung, denn sie schafft die Legitimation für den oder die neue/n Vorsitzende/n.

Zum Schluss: Was schätzen Sie an Ihrer Mitbewerberin Sascha Karolin Aulepp besonders?

Privat kenne ich Sascha sogar schon länger als über die Politik. Während unserer gemeinsamen Zeit in der Bremer Bürgerschaft haben wir immer sehr gut und verlässlich zusammengearbeitet. Wir sind unterschiedliche Typen und haben verschiedene Schwerpunkte, schätzen uns als Menschen und Genossen aber sehr. Deshalb hoffe ich, dass wir auch weiterhin sehr gut zusammenarbeiten werden, egal wer von uns am Ende die meisten Stimmen für sich verbuchen kann.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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