Morozov: „Macht Daten zu einem öffentlichen Gut“
Die Aufdeckung der massenhaften Überwachung im Internet seitens des US-Geheimdienstes NSA durch Edward Snowden dürfte das Bewusstsein um die Gefährdung der eigenen Datensicherheit erhöht haben. Konsequenzen haben daraus aber die wenigsten Nutzer gezogen. Trotz der Angst vor Datenmissbrauch nutze kaum jemand die Alternativen zu den Internet-Giganten Google und Facebook, konstatiert die Internetbotschafterin der SPD, Gesche Joost.
Zusammen mit dem SPD-Vizevorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel diskutierte sie am Montag auf der Veranstaltung „Philosophy meets Politics“ mit dem Philosophen Volker Gerhardt, Thymian Bussemer aus der SPD-Grundwertekommission und dem Internet-Theoretiker Evgeny Morozov von der Harvard University über Macht und Gerechtigkeit in der digitalen Gesellschaft. Seit 1996 lädt die SPD regelmäßig Philosophen zu Gesprächen mit Politikern ein. Unter dem Motto der #DigitalLEBEN-Kampagne der SPD fragt die Veranstaltung in diesem Jahr, ob die digitalen Technologien eine humane Gesellschaft schaffen.
Macht der Internet-Riesen einschränken
Morozov, den Wolfgang Thierse in seiner Eröffnungsrede als „jungen Vor- und Nachdenker des digitalen Zeitalters“ ankündigt, macht dabei vor allem auf die Bedeutung der Nutzerdaten aufmerksam. Würde man Internet-Riesen wie Google oder Facebook dazu zwingen, ihre gesammelten Nutzerdaten – anonymisiert – öffentlich zugänglich zu machen, bestünde mehr Spielraum für Innovationen und neue Unternehmen. „Die Daten müssen zu einem öffentlichen Gut werden“, fordert Morozov. Nur so könne die Monopolisierung des Marktes verhindert werden.
Zu den angesprochenen Nutzerdaten gehören ganz verschiedene Informationen, die im Alltag heutzutage aufgezeichnet werden. Sei es, weil jemand über die Google-Suchmaschine nach Restaurants, Büchern oder Orten sucht, oder das Smartphone mittels einer App die Zahl der eigenen Schritte misst und auswertet. Über dahinter liegende Algorithmen erstellen Firmen wie Google und Uber Nutzer-Profile, die sie für weitere Dienstleistungen verwenden. Je mehr Daten ein Unternehmen dabei sammelt, desto mehr Wissen kann es über seine Nutzer erlangen und zu seinem wirtschaftlichen Vorteil einsetzen – und sich von alternativen Anbietern weiter abgrenzen.
Dezentrale Datenverwaltung
Monopolisierung ist ein Stichwort, das auch Thorsten Schäfer-Gümbel in diesem Zusammenhang Sorgen bereitet: „Wir brauchen Vielfalt, nicht Monopole“, fordert der Vizevorsitzende des SPD-Kulturforums. Morozovs Vorschlag, die Daten zu einem öffentlichen Gut zu machen, stößt bei Schäfer-Gümbel auf offene Ohren. Gleichzeitig fordert der SPD-Politiker aber auch Vielfalt für den Verwaltungsort der Datenmengen. Je mehr Daten auf unterschiedlichen Servern gesammelt würden, desto besser, meint er. Auch, um in Anbetracht autoritärer Regierungen eine unabhängige Aufbewahrung weltweit zu gewährleisten. Eine Forderung, die Thymian Bussemer unterstützt: „Immer, wenn Daten zentral gesammelt werden, wächst die Verführungsgefahr – sowohl für Behörden als auch für Kriminelle“, warnt Bussemer. Eine solche dezentrale Aufbewahrung sieht Gesche Joost in der Open-Data-Bewegung angelegt. Hier gelte es, die Strukturen zu stärken, so Joost.
Schäfer-Gümbel sieht zudem die Politik aufgefordert, die Bürger mittels Kampagnen und einem entsprechenden Schulfach digital aufzuklären. „Die Freiheit beginnt damit, dass man weiß, worum es geht. Und an diesem Punkt sind wir meiner Ansicht nach noch nicht“, so Schäfer-Gümbel. Eine Meinung, die der Philosoph Volker Gerhardt teilt. „Wir müssen lernen, wie wir mit diesen Medien umgehen, aber auch, wie wir von ihnen lassen können“, ergänzt er. Mit dem Hinweis auf vergangene Innovationen der Menschheit wie der Nutzung des Feuers und die Einführung der Schrift warnt Gerhardt zugleich vor zu viel Panik: „Die Angst musste erst überwunden werden, um den Nutzen zu erkennen.“ Er sei zuversichtlich, „dass wir im Angesicht der Totalität im Netz demokratische Lösungen finden werden“ und warnt: „Wenn wir aufhören, an die Chancen zu glauben, haben wir uns selbst aufgegeben.“
Wie viel Zeit bleibt noch?
Eine Einstellung, die auf Kritik von Morozov stößt: „Wir können Big Data entweder diskutieren und problematisieren, oder wir können zu den Firmen hingehen und ihnen die Daten entziehen.“ Morozov drängt: „Wenn wir noch weitere fünf Jahre warten, ist es zu spät, dann kontrolliert Google alles.“
Dennoch plädiert Thierse in seinem Ausblick für mehr Geduld: „Politik muss das Problem erst begreifen, bevor sie eine Lösung finden kann“, erklärt der Sozialdemokrat. Viel Zeit hat die Sozialdemokratie dafür nicht. Ende 2015 will die SPD ihr digitales Programm auf dem Bundesparteitag beschließen. Bis dahin, das hat auch diese Veranstaltung gezeigt, bleiben noch viele Fragen zu klären, wie auf nationaler und internationaler Ebene die Machtfrage zwischen Staaten, Bürgern und Unternehmen geklärt werden kann.
ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2013 hat sie beim vorwärts volontiert.