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Mit Andrea Nahles steht erstmals eine Frau an der Spitze der SPD

Andrea Nahles ist die erste Frau an der Spitze der deutschen Sozialdemokratie. Mit 66,4 Prozent wurde sie von den Delegierten zur neuen Vorsitzenden gewählt. Sie bekam 414 der 624 gültigen Stimmen. Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange, die gegen Nahles angetreten war, erhielt 172 Stimmen.
von Karin Nink · 22. April 2018
Andrea Nahles
Andrea Nahles

Mit einer sehr persönlichen und emotionalen Rede überzeugte Andrea Nahles die rund 600 Delegierten. Nahles erzählte von ihrer Kindheit in der Eifel: katholisch, Arbeiterkind, Mädchen, Land. Eine Biografie, die keine Karriere für eine Frau, und auch keine Karriere in der SPD vorgesehen hatte. Das war „nicht logisch“, sagte sie.

Ihren Erfolg verdanke sie ihren Eltern und einem Bildungssystem, das dies möglich gemacht habe. „Und das wiederum verdanke ich der SPD.“ Auch heute noch gebe es junge Menschen, „denen es nicht in die Wiege gelegt ist“, erfolgreich ihren Weg zu gehen, mahnte Nahles und rief den Delegierten kämpferisch zu: „Nutzt die SPD, das zu tun, was ihr euch erträumt.“

Fokus auf Solidarität

Im Hinblick auf die historische Bedeutung dieser Parteivorsitzenden-Wahl dankte Nahles der anwesenden Heidi Wiezcorek-Zeul stellvertretend für alle Frauen, die auch in der Partei gegen die „gläserne Decke“ gekämpft hätten.

Inhaltlich stellte die 47-Jährige die Solidarität, die neben Freiheit und Gerechtigkeit zu den wesentlichen sozialdemokratischen Werten gehört, in den Mittelpunkt ihrer Rede. „Solidarität ist das, woran es am meisten fehlt in dieser globalisierten, neoliberalen, turbodigitalen Welt“, ruft sie. Deswegen brauche es Regeln für eine „solidarische Marktwirtschaft“, in der Wohlstandsgewinn allen zugutekommen müsse. 

Gebührenfreie Schulen, moderne Sozialstaatsreform

Solidarität bedeute aber auch gebührenfreie Schulen und Unis und eine moderne Sozialstaatsreform. „Mit der Abschaffung der Agenda 2010 haben wir noch keine einzige Frage beantwortet“, sagte sie und forderte die Debatte um Hartz IV „mit dem Blick auf 2020 und nicht auf 2010“ zu führen. Eine „solidarische Arbeitsgesellschaft“ müsse in Zeiten der Digitalisierung dafür sorgen, dass ein lebenslanges Lernen für Beschäftigte möglich werde. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer brauchten „einen starken Arm“, und das sei SPD. „Wir müssen auch sagen, wie wir neue Jobs in strukturschwachen Regionen schaffen können.“ Rechtsextreme und Rechtspopulisten seien „eine Gefahr für den solidarischen Zusammenhalt der Gesellschaft“. Gegen die müsse die SPD kämpfen.

Nahles appellierte – ohne die Polarisierung, die ihre Konkurrentin Lange mit „die da oben, wir da unten“ vor dem Parteitag betrieben hatte, anzusprechen – an den Zusammenhalt der Partei: „Wir sind nicht zwei, wir sind eine Partei.“ So brauchten auch die Spitzenkandidaten der im Herbst anstehenden Landtagswahlen in Hessen und in Bayern, Thorsten Schäfer-Gümbel und Natascha Kohnen, die Unterstützung aller.

Nahles: „Wir packen das “

Nahles vertrat in ihrer Vorstellungsrede offensiv den Gang in die große Koalition, der der Erneuerung der Partei nicht im Wege stünde. „Man kann eine Partei in der Regierung erneuern, diesen Beweis will ich ab morgen antreten“, versprach die 47-Jährige den Delegierten.

„Ich glaube, dass man mit demokratischen Mitteln, die Welt für jeden Menschen besser machen kann“, fasste sie ihre Überzeugung und ihren Anspruch zusammen. Eine allein könne das aber nicht schaffen. Deswegen bat sie die Delegierten „um eure Stimme, euer Vertrauen und eure Mithilfe für die nächsten Jahre“ und rief ihnen zu: „Wir packen das, das ist mein Versprechen."

Redezeit nicht genutzt

Simone Lange hatte nach alphabetischer Reihenfolge als erste die Gelegenheit, für sich zu werben. Dabei nutzte die 41-Jährige nur knapp die Hälfte der 30 Minuten Redezeit, die sie im Vorfeld des Bundesparteitages gefordert hatte. Eine persönliche Vorstellung übersprang sie und richtete ihren Blick auf die SPD: „Die Partei ist die älteste, mit der schönsten Geschichte – aber ihre Bedeutung reicht weit darüber hinaus: Die Sozialdemokratie basiert auf den Werten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Es sind genau diese Werte, die wir in Deutschland und in ganz Europa heute umso mehr brauchen.“

Der Zustand der Sozialdemokratie sei aber leider ein anderer, als der, den die Menschen von uns erwarteten, meinte Lange.

Lange: „Uns fehlt es an Offenheit und Glaubwürdigkeit“

Sie verwies auf die sinkenden Wahlergebnisse: „Wir haben in den letzten 15 Jahren unser Wahlergebnis halbiert.“ In den Umfragewerten ginge es eher nach unten als nach oben. „Uns fehlt es an Teamspiel, an Offenheit und an Glaubwürdigkeit.“

Lange wirkte während ihres Auftritts vor den Delegierten ruhig, ihr Ton verhalten. „Uns fehlt es an echter Erneuerung“ sagte sie. „Wer, liebe Genossinnen und Genossen, die Partei erneuern will, der muss selbstverständlich auf die Einheit der Partei setzen. Aber im Geiste eines fairen Teamspiels und im Einklang mit der Tatsache, dass wir die Herzen der Menschen wieder erreichen müssen.“ Konkrete inhaltliche Vorschläge zur programmatischen Erneuerung machte sie nicht.

„Mehr Demokratie leben“

Lasst uns frei nach Willy Brandt „mehr Demokratie leben“, unterstrich sie. Demokratie sei für sie die Möglichkeit, um die besten Köpfe zu ringen. „Ich kandidiere deshalb, weil Demokratie aber auch nichts mit Alternativlosigkeit zu tun hat. Ich biete eEuch meine Erfahrung, meine Führungskompetenz, meine Leidenschaft für die Sozialdemokratie. Ich bin heute eure Alternative.“ Zum Schluss ihre knapp 16-minütigen Rede sagte sie: „Ich weiß, dass viele denken, ich gehe chancenlos ins Rennen.“ Aber: „Ich bin heute die Richtige für eine echte Erneuerung der Sozialdemokratie.“

Nach der Wahl gratulierte sie Andrea Nahles zu dem Erfolg. Sie wolle nun „auch im Sinne der Einheit der Partei, meinen Beitrag dazu leisten.“ Der kommissarische Parteivorsitzende Olaf Scholz hatte zu Beginn der Delegiertenversammlung die Bedeutung dieses Parteitages hervorgehoben: „Es ist schon ein historischer Moment, wenn die SPD eine Vorsitzende wählt, das ist ein Fortschritt – ein Fortschritt, der lange fällig war.“

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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