Sie wächst weiter; die Kluft zwischen arm und reich in Deutschland. Laut jüngstem Armuts- und Reichtumsbericht, der am Dienstag in Berlin vorgestellt wird, ist inzwischen jeder vierte Deutsche
arm oder muss durch staatliche Leistungen davor bewahrt werden.
14,3 Prozent aller Deutschen leben einer neuen Studie der Bundesregierung zufolge unterhalb der von der EU definierten Armutsgrenze. Das bedeutet, dass sie mit weniger als 60 Prozent des
Durchschnittseinkommens auskommen müssen. Das war im Jahr 2007 ein Monatseinkommen von 764 Euro für Alleinstehende und 1 376 Euro für ein Paar. Im Gegenzug sind die Einkünfte der Reichen weiter
gewachsen. "Die Schere zwischen Arm und Reich hat sich weiter geöffnet", bilanzierte Bundesarbeitsminister Olaf Scholz der "Bild am Sonntag".
Arm trotz Arbeit
Ein besonderes Problem laut Scholz sei, dass die Zahl derjenigen, die arbeiten und trotzdem Gefahr laufen, in Armut abzurutschen, zunehme. Der SPD-Minister folgerte: "Wir haben zu niedrige Löhne in Deutschland und wir brauchen Mindestlöhne." Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee, schloss sich der Forderung nach Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes von 7,50 Euro in Ost und West "als unterste Haltelinie" an. Der "Berliner Zeitung" sagte Tiefensee: "Denn niedrige Löhne erhöhen auch das Risiko der Altersarmut, durch einen flächendeckenden Mindestlohn vermindern wir es."
Neue Solidarität gefordert
Ebenfalls als Reaktion auf den Armutsbericht forderten SPD-Politiker die Wiedereinführung der Vermögenssteuer: "Wir brauchen eine neue Solidarität. Ohne die Hilfe derjenigen mit den hohen
Einkommen und Vermögen wird es nicht gehen", sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach der "Neuen Presse". Geringe Einkommen müssten bei der Einkommensteuer entlastet werden, bei
Erbschaften und Vermögen müsse dagegen eine höhere Belastung angestrebt werden, forderte Lauterbach.
Auch der Vorsitzende der Parlamentarischen Linken, Ernst Dieter Rossmann, plädierte für eine stärkere Belastung hoher Einkommen: "Wir haben ein Armuts- und ein Reichtumsproblem. Die einen
haben zu wenig, die anderen zu viel." Ebenfalls der "Neuen Presse" sagte Rossmann: "Wir haben bei Reichensteuer, Erbschaft- und Vermögensteuer Aufgaben, damit die Schere zwischen Arm und Reich
nicht weiter auseinander geht."
Abgehängte Region Ostdeutschland
Bereits am Montag hatte der Paritätische Gesamtverband einen regionalen Armutsatlas erstellt. Aus Berechnungen der statistischen Ämter der Länder und des Bundes geht hervor, dass Ostdeutsche weit stärker von Armut betroffen sind als Westdeutsche. Der Wissenschaftler Bernhard Emunds nannte die Zahlen "alarmierend" und sprach im Deutschlandfunk von "abgehängten Regionen, bei denen wir von der Forderung des Grundgesetzes nach Vergleichbarkeit der Lebensbedingungen weiter denn je sind."
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.