Parteileben

Migration: „Die SPD muss zurück zu ihren ursprünglichen Forderungen“

Aziz Bozkurt, Vorsitzender der AG Migration und Vielfalt, will in den SPD-Bundesvorstand. Zu Erneuerung der Partei gehörten nicht nur Inhalte, sondern auch neue Gesichter, sagt er. Warum sich die SPD damit in der Vergangenheit schwer getan hat, erklärt er im Interview.
von Paul Starzmann · 10. November 2017
Asyl
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Die SPD will sich grundlegend erneuern. Welche Veränderungen sind aus Ihrer Sicht nötig?

Es geht um drei Ebenen: die organisatorische, die inhaltliche und die personelle. Organisatorisch sehen wir die Demokratisierung der SPD als das wichtigste, um die Partei zu wiederzubeleben. Inhaltlich geht es hauptsächlich darum, die Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Das heißt auch, im Großen und Ganzen zu denken und wieder eine allumfassende sozialdemokratische Geschichte zu erzählen. Und der dritte Punkt: die Gesichter. Da geht es um eine Neuaufstellung der Partei, mit neuen Gesichtern – und zwar so, dass man sieht: die SPD symbolisiert die Erneuerung auch mit neuen Gesichtern und ist tatsächlich ein Abbild der Gesellschaft, in ihrer vollen Vielfalt.

Deshalb kandidieren Sie und Ihre AG-Kollegin Serpil Miyatlı für den SPD-Bundesvorstand. Was versprechen Sie sich davon?

Vor sechs Jahren hat sich die Partei ein 15-Prozent-Ziel gesetzt, was Menschen mit Migrationshintergrund im Bundesvorstand angeht. Seither hören wir allerdings immer die Argumentation: Es gibt ja gar keine Kandidaten mit Migrationshintergrund, die kann man also gar nicht wählen! Dieses Argument zieht mit unserer Kandidatur nicht mehr. Wir wollen also hauptsächlich dafür sorgen, dass es bei der Neuaufstellung eine echte Auswahl gibt – das heißt: die Delegierten entscheiden, ob die Zielvorgabe eingehalten wird oder eben nicht. Neue Köpfe bringen neue Ideen. Und wir könnten in den Parteivorstand jede Menge neue Gedanken einbringen. Gerade zu den zentralen Herausforderungen der Zukunft.

Welche sind das?

Serpil bringt einen großen Erfahrungsschatz aus der Kommunal- und Landespolitik in verschiedenen Themenbereichen wie beispielsweise dem Wohnungsbau mit. Als Mitglieder der AG beschäftigen wir uns zudem jahrelang mit Themen rund um Migration und Vielfalt. Und wir haben eine starke Vernetzung zu Organisationen vor Ort, aber auch bundesweit. Das ist für die SPD Gold wert, weil es in vielen anderen Bereichen mittlerweile eine Abkopplung der Partei von der Gesellschaft gegeben hat. Wir haben den Anspruch, das Ohr der SPD an der Gesellschaft zu sein – und in beide Richtungen zu arbeiten: sowohl auszustrahlen nach außen als auch nach innen. Und wie der erste Entwurf zum Leitantrag treffend feststellt, sind Migration und der Zusammenhalt der Gesellschaft zwei der zentralen Herausforderungen, wozu wir einiges an Antworten beisteuern können.

Warum hat die SPD bislang kaum Vorstandsmitglieder mit Einwanderungsgeschichte?

Parteien insgesamt, aber auch die SPD haben jahrzehntelang wenig für politische Teilhabe in den eigenen Reihen getan. Dies ändert sich gerade in der Sozialdemokratie rasant – insbesondere mit den vielen Neumitgliedern – die auch gerade in den Großstädten einen hohen Anteil von Menschen mit Einwanderungsgeschichte aufzeigen. Das muss sich zukünftig in den Ämtern und Mandaten abbilden. Gerade mit der AG Migration und Vielfalt sorgen wir dafür, dass die Vielfalt aus der Basis heraus nach oben wächst. Es ist aber auch eine Führungsaufgabe, dort einzugreifen, wo beispielsweise selbst gesetzte Zielvorgaben nicht eingehalten werden. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit. Und, dass diese Frage eine große Baustelle bei der Erneuerung ist, ist unbestreitbar.

SPD-Chef Martin Schulz will in den kommenden Monaten innerhalb der Partei eine umfassende Debatte zum Thema „Migration“ führen. Wie werden Sie sich daran beteiligen?

Es freut uns sehr, dass der Parteichef die Bedeutung dieses Themas würdigt. Martin Schulz betont vor allem, dass das Recht auf Asyl nicht verhandelbar ist – genauso sehen wir das auch. In der Politik wird Migration aber auch sehr gerne unter ökonomischen Gesichtspunkten gesehen, wie zum Beispiel von der FDP. Da muss die SPD einen Kontrapunkt setzen, finde ich. Zu dem Thema gehört aber auch die Frage: Was erwartet die Menschen hier nach der Einwanderung? Das heißt, es geht um Zusammenhalt, um Teilhabe und Integration. Wir wollen einen ganzheitlichen Blick auf den Themenkomplex „Migration“ – mit allem, was dazu gehört.

Dazu gehört für Sie auch eine Abkehr von der bisherigen Asylpolitik?

Ja, denn wir haben in der großen Koalition viele Beschlüsse mitgetragen, die auf Druck der Union zustande gekommen sind. Leider tun jetzt viele so, als seien das originäre SPD-Positionen gewesen. Weil man auf dem Weg anscheinend vergessen hat, was eigentlich die SPD-Position war. Wir waren zum Beispiel immer gegen das Konzept der „sicheren Herkunftsstaaten“, haben diese Position in der großen Koalition aber aufgegeben. Darüber müssen wir jetzt dringend reden. Die SPD muss zurück zu ihren ursprünglichen Forderungen.

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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