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Mehmet Simsit, Vorkämpfer gegen Gentrifizierung

In seiner Hamburger Kneipe bewahrt Mehmet Simsit das alte und bunte St. Georg für jedermann. Mit Deutschkursen und Mindestlohn integriert er Menschen vom Rand der Gesellschaft wieder in den Kiez. In Zeiten der Gentrifizerung trifft das nicht überall auf Gegenliebe.
von Susanne Dohrn · 4. November 2014
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Er sagt: „Meine Chefin ist meine Frau.“ Und: „Ich bin Hamburger, bin hier zur Schule gegangen, lebe hier, alles!“ Und er sagt: „Wir haben hier investiert, wir können das nicht alles stehen und liegen lassen.“ Drei Sätze, die ein Leben verankern und die Herausforderungen, die es mit sich bringt, wenn man im mittlerweile schicken Hamburger Stadtteil St. Georg ein Lokal wie den Hansa-Treff betreibt und dabei das Wort sozial ernst nimmt.

Mehmet Simsit ist Wirt des Kellerlokals, Sozialdemokrat, ein Mann mit breitem Lächeln und rauer Stimme. In der Türkei geboren, kam er mit knapp neun Jahren nach Hamburg, im November wird er 50. Mit seiner Frau Liliana Iasar führt er die bunteste Kneipe in Hamburg St.Georg. Dort gelingt es ihm, Menschen zusammenzubringen, die einander sonst nie begegnen würden.

„Bei Mehmet funktioniert es“

„Ist schon oberschrill, wenn die Transvestiten zwischen den türkischen Papas auflaufen. Ich weiß nicht wie, aber bei Mehmet funktioniert es“, sagt Michael Joho vom „Einwohnerverein St. Georg“. Studenten träfen sich hier ebenso wie Prostituierte oder Besucher des Schauspielhauses. Im Einwohnerverein sind die Bewohner organisiert, die sich für einen bunten Stadtteil einsetzen und gegen das, was sich „Gentrifizierung“ nennt. Es gibt auch den „Bürgerverein St. Georg“. Der stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist konservativer. In dem war Mehmet Simsit früher Mitglied, und ist es nicht mehr, was mit dem Thema Gentrifizierung zu tun hat.

Dazu muss man wissen: In den 1990er Jahren war der Hansaplatz Hamburgs Schmuddelecke. Hier trafen Prostituierte ihre Freier, wurde abgehangen und gedealt. Die Wohnungen waren billig aber zentral, ideal für Studenten. Der Platz liegt wenige Minuten zu Fuß vom Hauptbahnhof und der Außenalster entfernt. Heute sind die Gründerzeithäuser, die um den imposanten Hansabrunnen aus dem Jahr 1878 gruppiert sind, perfekt restauriert. 2010/2011 wurde der Platz für mehr als zwei Millionen Euro saniert, Prostitution und Drogenhandel hat die Stadt zurückgedrängt. Deshalb gibt es auf dem Platz auch keine öffentlichen Sitzbänke. Auf die könnten sich „Trinker und andere Unerwünschte“ setzen, so das Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt 2012. Doch es gibt Tische und Stühle vor Restaurants und Cafes, seit September 2012 auch vor dem Hansa-Treff – jedoch erst nach einer juristischen Auseinandersetzung.

Denn dem Hansa-Treff untersagte das Bezirksamt die Außengastronomie zunächst. Da wäre er fast aus der SPD ausgetreten, weil er das Gefühl hatte, dass man ihn als Ausländer nicht wollte, so Simsit. Michael Joho vom Einwohnerverein sieht es so: „Da prallten die verschiedenen Entwicklungskonzeptionen aufeinander.“ Das wohlhabende schicke neue St. Georg und das alte bunte, in dem jeder, ob arm oder reich, einen Platz findet. Mehmet Simsit ist nicht schick, war bis vor 14 Jahren selbst drogenabhängig. Seine Frau ist Rumänin, war Zwangsprostituierte, lernte Mehmet kennen und löste sich von ihrem Zuhälter.

Deutschkurs statt Prostitution

Gemeinsam haben er und Liliana – die Rumänisch, Türkisch und Romanes spricht – seitdem viele Frauen unterstützt, die sich von ihren Zuhältern befreien wollten und setzen sich dafür ein, dass die Frauen Deutsch- und Alphabetisierungskurse besuchen können. Dabei helfen ihnen ihre guten Kontakte zu Sozialstationen, zum Stadtteilbüro, zum Stadtteilbeirat und zur Kirche. Im April heirateten die beiden, feierten ein rauschendes Fest mit fast 700 Gästen. Das halbe St. Georg sei da gewesen, darunter der Pastor der örtlichen Kirchengemeinde, Gewerkschafter, „Transen und Mädels“, so die Journalistin Danja Antonovic in den „Blättern aus St. Georg“, der Zeitung des konservativen Bürgervereins. „Mich beeindruckt einfach, wie vielfältig sich Mehmet in seinem Stadtteil engagiert“, so nachzulesen im Gemeindebrief der evangelisch-lutherischen Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde. Er helfe bei der Suppenküche der Kirchengemeinde, und weil fast alle ihn kennen, gebe es kein Gedrängel mehr.

Seit Anfang 2014 hat Mehmet Simsit ein neues Projekt gestartet. Er gründete eine Putzfirma, in der Frauen und Männer hauptsächlich aus Rumänien und Bulgarien beschäftigt sind, sozialversicherungspflichtig und mit Mindestlohn. Frauen und Männer, die aus der Prostitution aussteigen wollen und nun zum ersten Mal in Deutschland einen regulären Job erhalten. Simsit: „Erst gab es viele Wechsel, aber inzwischen sind einige schon länger bei uns, denen macht die Arbeit Spaß.“ Warum er das alles macht? „Ich bin ein Mensch, der von ganz tief unten wieder aufgestanden ist. Deshalb will ich helfen.“ In die SPD ist er übrigens wegen Olaf Scholz eingetreten. Das war 2010, kurz bevor der mit absoluter Mehrheit zum Ersten Bürgermeister gewählt wurde.

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Susanne Dohrn

ist freie Autorin und ehemalige Chefredakteurin des vorwärts.

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