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Matschie: „Jeder Koalitionsvertrag hat Licht und Schatten“

von Werner Loewe · 7. Dezember 2013

Am Freitag haben SPD-Mitglieder auf Regionalkonferenzen in Lübeck und Erfurt über den Koalitionsvertrag diskutiert. Kontrovers, aber sachlich wägten sie die Vor- und Nachteile einer großen Koalition ab.

Der Landesvorsitzende der SPD Schlesig-Holstein Ralf Stegner und sein Landesverband legen sich ordentlich ins Zeug, um für die Zustimmung zum Vertrag zu werben. Die Regionalkonferenz in Lübeck am Freitagabend war bereits die dritte in diesem Bundesland. Zusätzlich gab es schon einen Mitgliederbrief des Vorsitzenden und eine Telefonschaltkonferenz mit allen Ortsvereinsvorsitzenden. Und trotz Nikolaustag, erstem gefährlichen Glatteis  und den Nachwehen des Orkans Xaver haben sich rund dreihundert SPD-Mitglieder und auch interessierte Gäste in den Media-Docks eingefunden, um sich zu informieren, zu diskutieren, zu kritisieren und – ja, auch das – zu loben.

Die Begrüßung durch den örtlichen Kreisvorsitzenden ist erst einmal ein Dämpfer: Er zählt zwar auch aus seiner Sicht positive Ergebnisse auf, macht aber insgesamt aus seiner Ablehnung des Vertrags keinen Hehl. Dann erläutert der Landesvorsitzende Stegner – Mitglied der Verhandlungskommission – im Einzelnen den Vertrag. Selbstbewusst hatten die Nord-Sozis auf prominente Hilfe aus Berlin verzichtet: „Das können wir selber.“  Und das konnten sie auch locker, waren doch fünf Mitglieder in den verschiedenen Verhandlungskommissionen beteiligt.

So listet Ralf Stegner penibel Punkt für Punkt auf, wo sich die SPD durchgesetzt hat. Für ihn ist das auch nicht verwunderlich, denn „die Anderen wollten gar nichts ändern an der Politik, die Änderung an der bisherigen Politik wird von uns bestimmt.“ Eine große Koalition müsse nicht zwangsläufig zu Lasten der SPD gehen, sagt Stegner und verwies auf ein Zitat von Willy Brandt: „Politik taugt nur, wenn sie das Leben der Menschen verbessert.“ Dazu würde der Koalitionsvertrag beitragen.

Stegner sieht keine "einfachen Auswege"

Stegner schließt mit einer eindeutigen Absage an die Forderungen nach Neuwahlen: „Nein, die einfachen Auswege haben wir nicht.“ In der anschließenden Diskussion mit dem Publikum unterstützten der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Torsten Albig und die Bundestagsabgeordneten Bettina Hagedorn und Franz Thönnes zusammen mit Ralf Stegner auf dem Podium die Argumente für eine Annahme des Koalitionsvertrages und arbeiten auf Nachfragen auch die besondere schleswig-holsteinische Handschrift im Vertrag heraus, etwa bei der Zusage für eine Sanierung und Modernisierung des Nord-Ostsee-Kanals. Besonders betont wird auch die Zustimmung der Gewerkschaften zu dem Vertragswerk.

Auffallend ist, dass sich die Teilnehmer im Publikum offensichtlich sehr eingehend und manchmal bis ins kleinste Detail mit dem Vertrag beschäftigt haben.

Um zum Abschluss nicht nur bei einer groben Einschätzung der Stimmungslage an der Basis zu bleiben, hat sich die schleswig-holsteiner SPD etwas einfallen lassen: Beim Eintritt hatte jeder Teilnehmer einen Klebepunkt erhalten, den er beim Rausgehen auf eine Tafel mit  „Zustimmen“ oder auf eine Tafel mit „Ablehnen“ kleben konnte: So ist schließlich das Ergebnis eindeutig: Klare Mehrheit für „Zustimmen“.

Kontroversen in Erfurt

Weniger eindeutig ist das Stimmungsbild am Freitagabend auf der SPD-Regionalkonferenz in Erfurt. Mehr als 150 SPD-Mitglieder drängen sich in einen Raum im Radisson Blu Hotel. Dass die Diskussion hier besonders kontrovers verläuft, überrascht niemanden. Schon Tage vorher hat der Erfurter SPD-Kreisvorstand sich öffentlich gegen eine große Koalition ausgesprochen.

In seinem Eingangsstatement äußert der thüringische SPD-Landesvorsitzende Christoph Matschie Verständnis für die Kritiker: „Jeder Koalitionsvertrag hat Licht und Schatten, denn die unterschiedlichen Interessen der Parteien müssen sich wiederfinden“. In eine große Koalition zu gehen, sei mit Chancen, aber auch mit Risiken verbunden. Das gleiche gelte aber auch für den Gang in die Opposition.

Für Matschie überwiegen die Vorteile einer Regierungsbeteiligung der SPD. Er verweist auf den flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro, den die SPD durchgesetzt hat. „Mehr als ein Viertel der Beschäftigten in Thüringen verdient unter diesem Mindestlohn“, betont er. Zudem gebe es jetzt endlich ein festes Enddatum für die Angleichung der Renten in Ost und West, nämlich das Jahr 2020. Auch bei der Regulierung von Leih- und Zeitarbeit habe die SPD gute Kompromisse erzielt. Viele Gewerkschafter würden nun auf die SPD zählen. „Wir tun das nicht nur für uns selbst, sondern für die Menschen, die uns brauchen“, sagt Matschie über die Koalitionspläne mit der Union.

"Das betrachte ich als Politikwechsel"

Auch die stellvertretende Landesvorsitzende Iris Gleicke wirbt für eine Zustimmung zum Koalitionsvertrag. Das Wahlergebnis der SPD sei eine bittere Niederlage gewesen. „Aber wir müssen der Realität ins Auge sehen und das beste aus diesem Ergebnis machen“, sagt Gleicke. Das sei gelungen. „Die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns und einer Solidarrente betrachte ich als Politikwechsel.“

In der Folge melden sich viele Skeptiker zu Wort. Etwa Sven Schrade aus dem Juso-Landesvorstand. Im Wahlkampf habe die SPD mehr Gerechtigkeit im Steuersystem und eine solidarische Bürgerversicherung versprochen. „Da haben wir nicht viel hinbekommen“, meint er. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider antwortet: Die CDU habe Steuererhöhungen im Wahlkampf klar abgelehnt und dafür ein Mandat der Wähler bekommen. Das habe die Koalitionsverhandlungen schwierig gemacht. Bei der Bundestagswahl hätten die Parteien rechts von der Mitte eine Mehrheit erhalten, wenn man die Stimmen für FDP und AfD berücksichtige. Deshalb sei es ein Glück, dass die SPD nun überhaupt in der Lage sei, ihre Inhalte in die Regierungspolitik einzubringen.

„Keiner von uns hat dafür gekämpft, dass Angela Merkel Kanzlerin bleibt“, betont Christoph Matschie dann noch einmal. Doch die SPD könne jetzt etwas durchsetzen für Menschen, „die einen Scheiß-Lohn kriegen oder eine Mini-Rente haben“. Die Alternative wären Neuwahlen. Dadurch aber würde die Situation für die SPD nicht besser, ist Matschie überzeugt.

Autor*in
Werner Loewe

ist Mitarbeiter der vorwärts-Redaktion, Geschäftsführer a. D. des vorwärts-Verlags und ehemaliger Landesgeschäftsführer der SPD Hamburg.

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