Martin Dulig: Wie die SPD von „CDU-Chaostagen“ profitieren kann
Goetz Schleser
Herr Dulig, nach der Rücktrittsankündigung von Stanislaw Tillich streitet die CDU in Sachsen über ihren Kurs. Wie sehr irritiert Sie die Unruhe beim Koalitionspartner?
Mich erinnert die CDU derzeit an einen trägen alten Tanker auf hoher See, dem aus irgendeinem Grund der Kompass abhandengekommen ist. Was mit dem neuen Kapitän passiert, weiß die Mannschaft noch nicht, auch nicht wo hin es gehen soll. Der CDU ist das Gefühl für die Menschen im Land abhandengekommen. Ihr Problem ist, dass sie schlicht keine klare Haltung hat, die den Menschen ein Anker sein kann. Die ganzen Streitigkeiten um den jetzigen Kurs zeigen doch nur eins: eine absolute Planlosigkeit. Auf der anderen Seite sage ich ganz klar: Wenn die Partei CDU nach rechts schwenken möchte, soll sie das tun. In der Mitte gibt es dann reichlich Platz für eine anständige Partei, die einen wirklichen Plan für Sachsens Zukunft hat, nämlich die SPD.
Als Regierungspartner sitzt die Sachsen-SPD mit der CDU in einem Boot. Wie wollen Sie verhindern, dass auch die SPD Schaden nimmt?
Einen Rechtsschwenk der Staatsregierung wird es nicht geben. Die SPD als stabiler Faktor der Landesregierung steht dafür nicht zur Verfügung. Was die CDU macht, ist ihre Verantwortung und es ist Aufgabe der CDU, ihre Chaostage zu beenden. Wir haben Verantwortung für die Leute in diesem Land.
Nachfolger Tillichs soll Michael Kretschmer werden, den Daniela Kolbe zuletzt als „politisches Chamäleon“ bezeichnete. Wie sind Ihre Erwartungen an ihn?
Ich bin da etwas vorsichtig, weil auch ich noch nicht weiß, wofür Michael Kretschmer wirklich steht. Ich will erstmal wissen, was der Wechsel an der Spitze der CDU für inhaltliche Konsequenzen für die Regierungsarbeit hat, bevor ich mich zu irgendeiner Zusage für eine Wahl des Ministerpräsidenten überreden lasse. Es ist eine offene Frage, wie das mit Michael Kretschmer funktioniert. Die werden wir mit ihm diskutieren müssen.
Angesichts der „Chaostage in der CDU“: Für wie realistisch halten Sie es, dass die Frage bis Dezember geklärt sein wird?
Wir haben ja Zeit. Der Ministerpräsident ist im Amt und hat angekündigt, im Dezember zurückzutreten. Diese Zeit werden wir nutzen für Gespräche. Wir haben keinen Zeitdruck.
Und im Fall der Fälle übernimmt Martin Dulig?
Ich bin stellvertretender Ministerpräsident und hätte kein Problem damit, diese Position zu übernehmen, wenn es notwendig wird. Aber nochmal: erst kommen die Inhalte, dann die Personen. Unsere Forderungen liegen auf dem Tisch.
Kommen wir zur SPD: Mit 10,5 Prozent hat ihre Partei das bundesweit schlechteste Zweitstimmenergebnis eingefahren. Wie viel Druck kann sie in dieser Lage entfalten?
Wir haben uns damit sehr kritisch auseinandergesetzt und heftige Debatten geführt, was gut und richtig ist. Aus Gesprächen wissen wir aber: Das Zutrauen in die SPD wächst, auch aufgrund der Unbeständigkeit der CDU. Die Ausgangsbasis für uns ist deshalb besser als man denkt. Das wollen wir nutzen.
Nach der Wahl haben Sie einen „Systemwechsel“ in Sachsen gefordert. Was meinen Sie damit?
Es geht dabei um die Art und Weise, wie wir Politik machen. Dass wir politischen Streit als etwas Konstruktives sehen und nicht als Majestätsbeleidigung oder gar Rufschädigung. Die Zeiten, in denen die CDU wie ein Platzhirsch durch das Revier stolziert ist, sind vorbei. Lösungen müssen zusammen erarbeitet werden und konkret bei den Menschen ankommen, ihre Lebenssituation tatsächlich verbessern.
Mit der AfD hat eine Partei stark abgeschnitten, die selbst kaum Lösungen präsentiert. Wie geht die SPD damit um?
Klar ist: Jemand, der selber völkisch denkt und deshalb die AfD wählt, um den werde ich nicht kämpfen, dem werde ich die Stirn bieten. Mit denjenigen, die die AfD nicht aus inhaltlicher Überzeugung gewählt haben, müssen wir uns auseinandersetzen – praktisch und persönlich. Auch deshalb bin ich seit Jahren mit meinem Küchentisch auf Dialogveranstaltungen unterwegs, um mit den Menschen in Sachsen auf Augenhöhe ins Gespräch zu kommen und Vertrauensarbeit zu leisten.
Wie lässt sich das – angesichts der eigenen Mitgliederstruktur - vor Ort umsetzen?
Richtig ist: Wir sind der dynamischste Landesverband, haben viele Neueintritte – wenn auch konzentriert auf die Städte. Richtig ist aber auch: Wir sind eine strukturschwache Partei, die mit wenigen Leuten das Beste gestaltet. Das ist anstrengend und ich verstehe die Frustration gerade in ländlichen Ortsvereinen. Gleichzeitig senden wir ein Mut-mach-Zeichen an diejenigen, die sich für etwas engagieren. Für diese Menschen wollen wir das Angebot sein, die Mitmach-Partei, wo man genau das verwirklichen kann.