Manuela Schwesig: „Wir haben es in der Hand, was aus der SPD wird“
Wir ringen zurzeit innerhalb der Partei stark miteinander. Das ist das Wesen der Demokratie und macht uns als Partei attraktiv. Es ist der richtige Weg. Wir setzen uns über die Frage auseinander, ob wir erneut in eine große Koalition eintreten sollen. Für die meisten – auch für mich – ist dies keine Wunschkonstellation. Viele fragen sich, wie wir unsere sozialdemokratischen Inhalte durchsetzen können. Ich verstehe diese Fragen, auch wenn wir in den Koalitionsverhandlungen sozialdemokratische Kernanliegen durchgesetzt haben. Zudem werden wir mit Andrea Nahles an der Spitze die Partei weiblicher und jünger machen.
Offene Debatten führen
Hinter der Skepsis gegen die große Koalition steht die Befürchtung, dass nach weiteren vier Jahren mit CDU/CSU die SPD aufgerieben ist und im politischen Koordinatensystem Deutschlands nicht mehr gebraucht werden könnte. Viele Genossinnen und Genossen sorgen sich, dass die SPD verschwinden könnte. In einigen europäischen Ländern spielt die Sozialdemokratie kaum noch eine Rolle. Das kann uns nicht egal sein, und wir müssen achtgeben, dass der SPD nicht das gleiche Schicksal widerfährt.
Dazu müssen wir gemeinsam die SPD erneuern – inhaltlich programmatisch, organisatorisch, kulturell. Darüber sind wir uns alle einig. Es gibt aber keinen Automatismus dafür, dass weniger politischer Einfluss in der Opposition zu besseren Ideen und mehr Glaubwürdigkeit führt. Nicht die große Koalition ist eine Erfolgs- oder Misserfolgsbedingung für den Erneuerungsprozess der SPD, sondern unsere Fähigkeit neue Weg zu gehen und zu denken, Erfolge stolz zu präsentieren und offene Debatten auszuhalten. Wir allein haben es in der Hand, was aus der SPD wird.
Drei Fragen
Wir haben uns eine ehrgeizige Agenda gegeben. Dabei geht es um drei Fragen: In was für einer Gesellschaft leben wir, vor welchen Veränderungen steht unser Land und welche Vorstellung haben wir von der Gesellschaft, in der wir wir leben wollen
Welche Gestaltungsaufgaben ergeben sich daraus für sozialdemokratische Politik? Wie stellen wir die SPD programmatisch, strategisch und organisatorisch neu auf, um auf der Höhe der Zeit zu sein? Damit diese Worte nicht, wie so oft, in den vergangenen Jahren verhallen, müssen wir arbeiten. Der Erneuerungsprozess muss im Team gestaltet werden. Andrea Nahles wird hier unser aller Unterstützung brauchen.
Nicht nur parteiintern
Es gilt daher, die gestellten Fragen zu bearbeiten, um eine offene und kritische Diskussion zu ermöglichen und die Entscheidungen vorzubereiten. Wir werden fünf Themen aufbereiten: die Zukunft Europas, den technologischen Wandel und wie wir ihn mit sozial-ökologischem Fortschritt verbinden, wie wir Ungleichheiten überwinden und Gleichstellung in allen gesellschaftlichen Bereichen voranbringen, Flucht und Migration sowie die Stärkung von Demokratie und Zusammenhalt.
Das sind die großen Fragen unserer Zeit, auf die wir Antworten brauchen. Dieser Prozess wird nicht nur parteiintern stattfinden, sondern wir laden alle Bürgerinnen und Bürger ein, sich an dem Neustart der sozialdemokratischen Bewegung zu beteiligen – online und in den klassischen Strukturen unserer sozialdemokratischen Partei.
Stark in Ostdeutschland
Und hier ist auch der Bezug zu der organisatorischen Erneuerung. Diese ist eine Bedingung für eine erfolgreiche Reform! Je besser es uns als Partei gelingt, die Fähigkeiten und Talente unserer Mitglieder in Entscheidungsprozesse und die Formulierung von politischen Angeboten einzubeziehen, desto nachhaltiger und überzeugender kann die Erneuerung gelingen.
Die SPD ist in Ostdeutschland stark. Das bedeutet auch, dass diese starke Stimme mehr als bisher gehört und repräsentiert sein muss.
Weiblicher auf allen Ebenen
Die Erneuerung der Partei bedeutet auch, dass die SPD weiblicher werden muss. Frauen müssen auf allen Ebenen stärker in die Parteiarbeit eingebunden sein. Dafür habe ich eine Stabsstelle vorgeschlagen. Auch im hauptamtlichen Bereich darf es keine Entscheidungsprozesse mehr geben, in die Frauen nicht eingebunden sind. Das gilt auch für die zweiten und dritten Ebenen der SPD.
Auf allen Ebenen gibt es Frauen, die sich eine aktivere Rolle in der Partei vorstellen können. Oft werden sie durch männliche Strukturen gebremst oder sogar abgeschreckt. Der Parteischule kommt hier eine herausragende Rolle zu: einerseits um Kandidatinnen für die aktive Parteiarbeit zu werben und andererseits Funktionsträger für einen diskriminierungsfreien Umgang in der politischen Arbeit zu sensibilisieren.
Das Beste daraus machen
Schaffen wir das, dann wirkt sich dies auf die Politik aus, für die die SPD steht. Moderne Strukturen, die Beteiligung und Engagement fördern, helfen ein gesellschaftlich-politisches Angebot zu machen und mehrheitsfähig zu werden.
Wir können uns die Rahmenbedingungen für diese Erneuerung nicht aussuchen. Sie sind schwierig. Dennoch müssen wir sie annehmen und das Beste daraus machen. Die SPD sind wir und wir alle entscheiden darüber, ob die Ideale der Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert politisch relevant bleiben. Die Erneuerung der SPD liegt nur an uns.
Janine Schmitz/photothek.net
ist Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Landesvorsitzende der SPD.