Lars Klingbeil: „Ich wünsche mir, dass ein Ruck durch die SPD geht“
Dirk Bleicker
Am Montag hat Andrea Nahles im Parteivorstand ihren Rücktritt als SPD-Vorsitzende erklärt. Wie haben Sie die Sitzung erlebt?
Die Sitzung war sehr stark vom Abschied von Andrea Nahles geprägt. Die Stimmung war sehr nachdenklich. Andrea Nahles hat sich emotional und würdevoll verabschiedet und wir haben ihr für ihre Arbeit gedankt. Andrea hat dabei betont wie wichtig es ihr ist, dass die Prozesse, die sie als Parteivorsitzende angestoßen hat – programmatisch etwa mit dem neuen Sozialstaatskonzept, aber auch die Veränderungen innerhalb der Partei und im Willy-Brandt-Haus – auch nach ihrem Abschied weitergehen. Auch ich persönlich danke ihr für die vertrauensvolle und faire Zusammenarbeit.
Der persönliche Umgang mit Andrea Nahles in den vergangenen Wochen wurde von vielen auch prominenten Sozialdemokraten kritisiert. Welche Lehren sollte die Partei daraus ziehen, damit sich das nicht wiederholt?
Ich bin fest überzeugt davon, dass die überwiegende Mehrheit unserer Mitglieder solidarisch miteinander Politik machen will und davon überzeugt ist, dass wir fair und freundlich miteinander umgehen. Das sollten wir viel deutlicher nach vorne stellen und nicht das Verhalten der Einzelnen, die quer treiben. Wenn die Vernünftigen laut genug sind, werden diejenigen, die meinen, ihre Spiele spielen zu müssen, stumm geschaltet. Ich wünsche mir, dass in dieser Richtung ein Ruck durch die SPD geht. Mit den Ritualen alter Politik muss Schluss sein.
Bis zum Parteitag wird die SPD nun kommissarisch von Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel geführt. Wie ist es dazu gekommen?
Der gesamte Parteivorstand ist sich seiner Verantwortung bewusst. Wir müssen uns jetzt um die Zukunft der SPD kümmern und gemeinsam überlegen, wie wir aus der schwierigen Situation besonnen herauskommen. Ich bin sehr froh, dass mit Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel drei profilierte stellvertretende Vorsitzende angeboten haben, dass sie als Team zusätzlich Verantwortung übernehmen und die SPD kommissarisch in den nächsten Monaten führen wollen. Der Parteivorstand hat dieses Angebot sehr gerne angenommen.
Alle drei haben erklärt, selbst nicht für den Partei-Vorsitz kandidieren zu wollen. Warum?
Dass keiner der drei selbst den Hut in den Ring wirft, erleichtert ihr Handeln in den kommenden Monaten. Wenn die Mitglieder wissen, dass niemand von ihnen eigene Ambitionen auf den Parteivorsitz hat, erhöht das ihre Legitimation. Deshalb finde ich diese Entscheidung absolut richtig.
Wie sieht die Aufgabenteilung innerhalb des Trios aus?
Die Entscheidung, dass die Drei die Partei kommissarisch führen sollen, ist gerade ein paar Stunden alt. Wir sind jetzt dabei, die genaue Aufgabenteilung zu klären. Klar ist, dass nicht jeder alles machen muss, sondern sich jeder um unterschiedliche Bereiche kümmern wird. Die drei sind ja auch nicht allein. Der kommissarische Vorsitzende der Bundestagsfraktion Rolf Mützenich, Vizekanzler Olaf Scholz und ich als Generalsekretär werden sie nach Kräften unterstützen.
Am 24. Juni wird der Parteivorstand das weitere Verfahren beschließen, wie eine neue Vorsitzende oder ein neuer Vorsitzender gefunden werden soll. Was ist bis dahin zu tun?
Bis zum 24. Juni müssen wir uns um drei Dinge kümmern. Zum einen werden wir das Verfahren vorbereiten, wie eine nächste Parteivorsitzende oder ein nächster Parteivorsitzender oder vielleicht sogar ein Führungsduo bestimmt werden kann. Dafür ist die gesamte Partei aufgerufen, uns Ideen zu schicken. Als zweites wird es darum gehen, die Halbzeitbilanz der großen Koalition vorzubereiten, über die auf dem Bundesparteitag diskutiert werden soll. Auch hierfür soll am 24. Juni das Verfahren geklärt werden. Und zum dritten müssen wir sicherstellen, dass die SPD als Partei mit Regierungsverantwortung gemeinsam gut geführt wird.
Wie können die Mitglieder ihre Vorschläge und Ideen einbringen?
Wer Ideen hat, kann sie gerne direkt ans Willy-Brandt-Haus schicken oder sie über seinen Ortsverein oder Landesverband einbringen. In den nächsten Tagen werden wir mitteilen, wie das formal genau laufen wird. Die Wege sind aber nicht entscheidend, sondern dass sich die SPD in der Breite an der Neuaufstellung beteiligt. Wir wollen die Stärke unserer Mitglieder nutzen und weg von Hinterzimmer-Entscheidungen.
Breit diskutiert wird bereits die Möglichkeit einer Doppelspitze zur Führung der Partei. Sind Sie dafür?
In der Diskussion am Montag hat sich abgezeichnet, dass es im Parteivorstand starke Befürworter eines solchen Modells gibt. Wir werden ganz sicher darüber nachdenken. Als Generalsekretär will ich der Debatte nicht vorgreifen, aber ich finde, in einer Phase, in der sich Politik deutlich verändert, müssen alle Ideen erlaubt sein.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.