Lars Klingbeil: „Ich will, dass die SPD aus jeder Pore Modernität ausstrahlt“
Thomas Koehler/photothek.net
Am Montag endete die Online-Veranstaltungsreihe der SPD „In die neue Zeit“. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Ich bin sehr zufrieden und habe bei allen drei Veranstaltungen viel mitgenommen, was jetzt in die Erarbeitung des Regierungsprogramms einfließen wird. Die SPD ist dann erfolgreich, wenn sie auf Zukunftsthemen setzt und sich mit der Veränderung der Gesellschaft beschäftigt. Wir können mutig sein und neue Ideen in den Mittelpunkt unseres Handelns rücken. Das haben wir mit den drei Konferenzen angestoßen. Die SPD ist eine moderne Partei, das werden wir bei der Bundestagswahl den Menschen zeigen.
Welche Erkenntnisse nehmen Sie aus der Reihe mit?
Dass wir optimistisch auf die Zukunft blicken können. Die Corona-Krise hat in den letzten Wochen wie ein Brennglas auf unsere Gesellschaft gewirkt und uns gezeigt, wo etwas und was genau dort nicht gut läuft. Wir haben die Chance es auf dem Weg aus der Krise besser zu machen, wenn wir jetzt die richtigen Weichen dafür stellen. Auf den drei Konferenzen ist deutlich geworden, dass es eine ganze Reihe von neuen sozialdemokratischen Ideen gibt. Wir wollen mehr Gemeinwohl und weniger Gewinnmaximierung, wir wollen ein Recht auf Arbeit für alle und wir wollen, dass der Staat die Rahmenbedingungen so setzt, dass Innovationen in Deutschland und Europa nicht nur entwickelt, sondern auch umgesetzt werden. Ich bin dankbar für den erfrischenden Input der Expertinnen und Experten. Ihnen geht es wie mir darum, die Dinge neu zu denken und Ziele möglich zu machen. Von ihren Vorschlägen und Ideen wird sicherlich einiges im Wahlprogramm auftauchen.
Welche drei Punkte sind Ihnen bei diesen Veranstaltungen inhaltlich am meisten im Kopf geblieben?
Ganz knapp zusammengefasst sind es das Verantwortungseigentum als neue Form des Wirtschaftens, also dass sich Unternehmen sozialen und ökologischen Werten verpflichten, statt vorrangig Gewinnmaximierung zu betreiben. Außerdem die Einführung einer Arbeitsversicherung, die auf Weiterbildung und Qualifizierung in Zeiten der Digitalisierung setzt. Und dass wir bei der Entwicklung von Innovationen schon im Vorfeld genau schauen, welche technischen und gesellschaftlichen Veränderungen möglich sind und welche wir wollen. Wir werden als SPD dafür kämpfen, dass die Menschen sich gut aufgehoben fühlen, wenn wir über die Zukunft reden. Dafür werden wir den Sozialstaat weiter ausbauen und stärken. Ein starker Staat begleitet die Menschen durch Veränderungen. Wenn wir das nach vorne stellen, werden wir die Leute für den Fortschritt begeistern können. Die SPD muss immer eine Fortschrittspartei sein. Wir dürfen nicht im Status Quo verharren.
Viele der Referent*innen waren jung, weiblich und kommen aus dem Bereich der Digitalwirtschaft. Geht mit der neuen Zeit einher, dass sich die SPD auch noch stärker für eine neue Zielgruppe öffnet?
Das ist mein klarer Anspruch. Ich will, dass diese Partei aus jeder Pore Modernität ausstrahlt und sich ganz selbstbewusst um neue Entwicklungen kümmert. Dazu gehört, dass wir Menschen, die auf der politischen Landkarte neu auftauchen – junge Wissenschaftlerinnen oder Aktivistinnen – bei uns einbinden.
Ist das ein Ansatz, sich stärker in Richtung sozialer Bewegungen zu orientieren?
Ich möchte, dass wir uns als SPD öffnen, dass wir soziale Bewegungen, Gewerkschaften noch stärker an uns binden und ihnen eine Plattform bieten. Wir werden deren Forderungen nicht eins zu eins umsetzen können, aber wir verschließen uns auch nicht. Wie beim Klimapaket, da haben wir auch im Vorfeld mit den Fridays for future Demonstranten gesprochen und aufgenommen, was hier im Land diskutiert wurde. Mein Anspruch ist, dass wir einen Schritt zugehen auf die vielen Menschen, die in den letzten Jahren politisch aktiv geworden sind, und dass wir ihnen die Hand ausstrecken.
Die Veranstaltungsreihe sollte auch dazu dienen, Ideen für das SPD-Wahlprogramm zu sammeln. Wie sieht der weitere Prozess dafür aus?
Ich werde dafür sorgen, dass die Ideen aus den Konferenzen ins Wahlprogramm einfließen. Und wir werden die Mitglieder in den Prozess auch einbinden. Durch eine Mitgliederbefragung wollen wir hören, welche Themen der Basis wichtig sind. Wir werden am Freitag außerdem den Mitgliederbeirat mit 20 zufällig ausgewählten Mitgliedern starten. Wir wollen aber auch die Zivilgesellschaft, Gewerkschaften und soziale Bewegungen miteinbeziehen. Wir nehmen uns bewusst Zeit für inhaltliche Diskussionen, um ein kluges Programm zu erarbeiten und viele Menschen zu beteiligen.
Sie haben während der Online-Konferenz am Montag gesagt: „Es gab Bedenkenträger ohne Ende, wieso wir keine Vorstandssitzungen digital machen können. Jetzt haben alle gesehen, es funktioniert.“ Wie hat Corona die SPD verändert?
Vieles ist möglich geworden. Jetzt sehen alle, dass es technisch geht, Sitzungen auch digital abzuhalten. Vielleicht haben sich manche vorher nicht getraut. Für viele war es ein Bruch in ihrer Arbeitskultur, aber es hat viele Vorteile, weil wir es so schaffen, uns schnell zu vernetzen und uns über viele Dinge auszutauschen. Die Corona-Zeit hat dazu geführt, dass wir Parteiarbeit flexibler machen konnten. Aber es kommt auf die Mischung an: Ich freue mich auch, wenn ich wieder vor Ort bei den Genossinnen und Genossen sein kann. Der direkte, persönliche Austausch fehlt mir.
Wie nehmen Sie die Parteiarbeit zurzeit wahr, die ja durchaus erschwert ist durch die Corona-Pandemie?
Ich finde es toll, wie viel Kreativität ich in der SPD erlebe. Die SPD in Schleswig-Holstein hat zum Beispiel einen kleinen Parteitag via Zoom abgehalten, bei dem wir über Beteiligungsformate geredet haben. Die SPD in Köln veranstaltet einmal im Monat einen Talk mit unterschiedlichen Gästen. Viele Kolleginnen und Kollegen nutzen Instagram-Live-Formate. Kevin Kühnert und ich talken dort jeden Montag gemeinsam. Viele Leute sprechen uns darauf an und sagen, dass sie die SPD darüber ganz neu wahrnehmen.
Gleichzeitig ist die Gesetzgebung weniger flexibel, was Online-Parteitage angeht. Die SPD in Dortmund musste kürzlich schon in ein Autokino ausweichen, um ihren Parteitag abhalten zu können. Wie kann man den Genoss*innen vor Ort da rechtlich unter die Arme greifen?
Wir wollen das Parteiengesetz ändern, damit es möglich wird, Parteitage digital abzuhalten und auch programmatische Beschlüsse online zu fassen. Satzungsänderungen und Vorstandswahlen bleiben dabei weiterhin ordentlichen Parteitagen vorbehalten. Wir wollen zudem ermöglichen, dass Aufstellungskonferenzen für die Bundestagswahl und die Landtagswahlen in einer Hybridvariante möglich sind. Das würde beinhalten, dass die Vorstellung der Kandidaten digital stattfindet und darauf eine Urnen- oder Briefwahl folgt. Das werden wir jetzt mit den Parteien im Bundestag besprechen, damit es schnell zu Änderungen kommt.
Wie sieht der Zeitplan dafür aus?
Die Gespräche laufen schon. Spätestens nach der Sommerpause wird es zu Ergebnissen kommen. Da bin ich mir sehr sicher.
Angenommen Großveranstaltungen bleiben noch für längere Zeit verboten, wie könnte dann der Bundestagswahlkampf im kommenden Jahr aussehen?
Der Wahlkampf wird sich verändern. Ich bin mir sicher, es wird der digitalste Wahlkampf aller Zeiten, unabhängig von Corona. Klassische Formate wie Infostände oder Hausbesuche werden wichtig bleiben, aber darüber erreicht man nicht mehr alle Menschen. Deswegen wollen wir digitale Formate stärker nutzen und Menschen über soziale Medien erreichen. Wir bereiten gerade im Willy-Brandt-Haus vor, die Partei fit zu machen und genau solche Formate auszuprobieren, beispielsweise durch die „In die neue Zeit“-Konferenzen, durch digitale Betriebsrätekonferenzen oder auch den Zukunftsdialog, den Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans starten werden.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo