Landtagswahl in Sachsen: Martin Dulig setzt auf eine Trotzreaktion
Das Podest steht bereit, aber der Kandidat stellt sich nicht darauf. Er will mit seinen Zuhörern auf Augenhöhe sein. „Mein Name ist Martin Dulig und ich bin Spitzenkandidat der SPD bei der Landtagswahl am 1. September.“ Die Worte werden über einige Boxen verstärkt. Neugierig drehen sich Passanten um, einige bleiben stehen. Ein paar Meter weiter rattert eine Straßenbahn vorbei. Hinter einigen Bäumen ragt der „Nischl“, die große Karl-Marx-Büste, die der Stadt zu DDR-Zeiten ihren Namen gab, in die Höhe.
Dulig: Es ist nicht egal, wer in Sachsen regiert
Es ist ein warmer Nachmittag Anfang August in der Innenstadt von Chemnitz, noch drei Wochen bis zur Landtagswahl. Die Menschen tragen kurze Hosen und T-Shirts, Martin Dulig einen hellgrauen Anzug und keine Krawatte. „Fünf Minuten Dulig“ heißt das Format mit dem der 45-jährige Vorsitzende und Spitzenkandidat der sächsischen SPD im Wahlkampf unterwegs ist. An diesem Tag macht er in der drittgrößten Stadt Sachsens Station. Dulig hält eine kurze Rede – ohne Manuskript und Pult – danach kann jeder, der möchte, mit ihm ins Gespräch kommen.
„Wir haben bewiesen, dass es nicht egal ist, wer regiert“, blickt er auf die vergangenen fünf Jahre als Juniorpartner der CDU zurück. „Wir haben Schluss gemacht mit der Sparpolitik“, erinnert der stellvertretende Ministerpräsident. Auch für die kommenden fünf Jahre haben Dulig und die sächsische SPD viel vor. So soll der Verkehr mit Bussen und Bahnen ausgebaut und die Tarifbindung gestärkt werden. Hort und Kitas sollen kostenfrei werden und Kinder in einer Gemeinschaftsschule länger gemeinsam lernen. So steht es im Regierungsprogramm, das die SPD unter das Motto „Es ist dein Land“ gestellt hat.
„Als sechsfacher Vater und bald vierfacher Großvater liegt mir das Wohl der Kinder besonders am Herzen“, sagt Martin Dulig in der Chemnitzer Fußgängerzone und wirbt zum Schluss: „Bitte gehen Sie wählen und geben Sie beide Stimmen der SPD.“ Bei einer Rentnerin, die ihr Rad vorbeischiebt, stößt er damit auf offene Ohren. „Es ist wichtig, dass die SPD die Oberhand gewinnt“, sagt sie. „Ich hoffe, dass SPD, CDU und Grüne nach der Wahl eine Regierung bilden können und die AfD außen vor bleibt.“
Das industrielle Herz Sachsens soll weiter schlagen
Eine Regierung, an der die AfD beteiligt ist, dürfte auch ein Horrorszenario für Industrie-und-Handels- sowie die Handwerkskammer sein. Mit dem Projekt „J-Team“ – wobei das J für „Job“ steht – werben die Chemnitzer Kammern in Polen, Rumänien, Ungarn und Tschechien um Fachkräfte. Es gehe darum, „den Standort Chemnitz zu vermarkten“, erklären die Verantwortlichen Martin Dulig nach seinem Auftritt in der Fußgängerzone. Die Botschaft laute: „In Chemnitz gibt es gute Jobs, aber auch ein gutes Leben.“
„An der Frage der Fachkräfte wird sich die Zukunft unserer Unternehmen entscheiden“, sagt Martin Dulig, der auch sächsischer Wirtschaftsminister ist. An der Kampagne gefällt ihm auch, dass sie an „historische Verbindungen aus DDR-Zeiten anknüpft“. Das könne den Austausch erleichtern und dafür sorgen, dass das „industrielle Herz Sachsens“ weiter kräftig schlage und Herausforderungen wie Strukturwandel und Digitalisierung meistere.
„Diese zeitgleichen Veränderungsprozesse verunsichern die Menschen“, weiß Dulig. Gerade in Ostdeutschland gebe es „ein gewisses Misstrauen“, weil die Menschen hier nach der Wiedervereinigung „bereits eine Transformation erlebt haben“. Auch deshalb werben Dulig und die sächsische Integrationsstaatsministerin Petra Köpping seit Monaten dafür, „Nachwendeungerechtigkeiten“ aufzuarbeiten. Eine Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung soll zudem dafür sorgen, dass die Altersarmut in Ostdeutschland nicht explodiert. „In Sachsen würden schon heute 240.000 Menschen davon profitieren“, rechnet Martin Dulig vor.
Die schwierigste Wahl der letzten 25 Jahre
Am Abend sitzt er an einem Tisch, der vor einigen Jahren noch bei Familie Dulig in der Küsche stand. In der Platte sind tiefe Kratzer und ein großer Brandfleck, den ein Kochtopf hinterlassen hat. Bereits im letzten Landtagswahlkampf war Dulig mit dem Möbelstück quer durch Sachsen unterwegs und hat die „Küchentisch-Tour“ auch als stellvertretender Ministerpräsident fortgesetzt. An diesem Abend steht der Tisch im „Luxor“, einem Veranstaltungsort, an dem sonst Konzerte und Vorträge stattfinden. Neben Dulig haben die Chemnitzer Landtagsabgeordnete Hanka Kliese und Bundesfinanzminister Olaf Scholz Platz genommen. Er hat Dulig bereits während des gesamten Tages begleitet und sagt jetzt: „Ich habe Martin sehr bewundert, weil er sich einfach in die Fußgängerzone gestellt und eine Rede gehalten hat, obwohl ihn niemand darum gebeten hat.“ Dann geht es los.
Zu den drei Politikern setzen sich immer wieder Interessierte aus dem Publikum, die Fragen stellen oder Kommentare abgeben können. Das Motto lautet schließlich: „Wir bringen den Tisch, Sie die Themen.“ Es geht um die schlechte Bahnanbindung in Chemnitz, die Arbeit der großen Koalition in Berlin und natürlich die Landtagswahl – „die schwierigste Wahl der letzten 25 Jahre“, wie Martin Dulig betont.
„Es geht nicht um Parolen, sondern um Grundüberzeugungen“, sagt er. Und: „Ich habe den Anspruch, dass die SPD auch nach der Wahl gestaltet.“ Bei Umfrageergebnissen im einstelligen Bereich könnte es damit allerdings schwierig werden. Am Küchentisch in Chemnitz hat Martin Dulig deshalb einen Wunsch: „Ich wünsche mir eine Trotzreaktion, die Zuversicht heißt.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.