Koalitionsvertrag: Viele Fragen von der Basis an die Parteispitze
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„Viele von uns hätten vor einem Jahr nicht gedacht, dass wir jetzt mit diesem Vertrag in der Hand hier stehen.“ Mit diesen Worten startet Norbert Walter-Borjans am Montagabend in die Digitalkonferenz der SPD zum Koalitionsvertrag. Er steht zusammen mit der Co-Parteivorsitzenden Saskia Esken, Generalsekretär Lars Klingbeil sowie SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz den Mitgliedern Rede und Antwort zum vorliegenden Koalitionsvertrag.
Dass sie auf die rund 170 Seiten merklich stolz sind, kann keiner der vier verhehlen – gleichsam machen sie auch deutlich, dass so ein gemeinsames Werk von drei Parteien, die vorher auf Bundesebene nie zu dritt regiert haben, neu und ungewohnt ist. Aber, trotz Zugeständnissen an Grüne und FDP: Der Vertrag enthalte viel von dem, was man sich als SPD vorgenommen habe, das verdeutlichen alle vier Sozialdemokrat*innen.
Dennoch gibt es an diesem Montagabend einiges zu klären, zu erklären – vom Bürgergeld bis hin zur Verteilung der Ministerien, mal konkret, mal abstrakt. Vier Themen aus der Fragerunde:
Bürgergeld statt Hartz IV
So wird beispielsweise von einer Genossin gefragt, ob das Bürgergeld nur ein neuer Name sei für „Hartz4“, dem gegenwärtigen Arbeitslosengeld zwei.
Die Frage beantwortet Olaf Scholz entschieden: „Es ist eine ganz andere Sicht auf die Dinge.“ Anstelle von Misstrauen gehe es künftig um Zutrauen, um eine Förderkultur. „Es ist in Wahrheit die Einstellung, die wir ändern wollen“, erklärt er mit Blick auf das Bürgergeld-Konzept – und Saskia Esken betont die konkreten Änderungen: So solle es bei Arbeitslosigkeit eine Vertrauenszeit geben, es soll eine gemeinsame Teilhabevereinbarung geschlossen werden, kurz: Arbeitsvermittler*innen und Arbeitslose sollen sich künftig auf Augenhöhe begegnen. Für den Übergang solle es außerdem ein Moratorium bei den Sanktionen geben. „Da stecken eine Menge Veränderungen drin“, bekräftigt Esken.
Steuer- und Finanzpolitik
Ganz konkret und knapp ist die Frage von Genosse Ebou Ceesay: „Wie rechnet sich das alles?“, fragt er in die Runde. Es ist auch ein strittiger Punkt, der in der Berichterstattung über den Koalitionsvertrag immer wieder aufgegriffen wurde: Die Ampel-Parteien versprechen viele Milliarden an Investitionen, unter anderem bei Digitalisierung und Klimaschutz, Steuern werden allerdings nicht erhöht.
Doch für den gegenwärtigen Finanzminister gibt es im aktuellen Steuersystem einiges zu holen. Er wolle einerseits für mehr Steuergerechtigkeit sorgen, so Olaf Scholz, und verspricht: „Was wir uns vorgenommen haben, werden wir auch finanzieren können.“ Das könne einerseits über den Energie- und Klimafonds gelingen. In den Topf fließen unter anderem die Einnahmen aus dem – künftig steigenden – CO2-Preis. Andererseits erwarten Scholz und Walter-Borjans steigende Steuereinnahmen aus der wieder anspringenden Konjunktur.
Außerdem ergänzt der Parteivorsitzende: Auch innerhalb der Schuldenbremse gebe es noch Finanzierungsspielraum. Und auch wenn die SPD dem Koalitionspartner FDP Zugeständnisse bei der Besteuerung besonders hoher Vermögen machen musste, verspricht Walter-Borjans ein hartes Durchgreifen bei Tricks und Betrug: „Überall da, wo Steuern umgangen werden oder Steuerbetrug eine Rolle spielt, haben wir eine klare Aussage im Koalitionsvertrag, dass wir das nicht dulden.“
Ressortverteilung
In zwei Fragen spielt außerdem die Ressortverteilung eine Rolle: Eine Genossin aus Hessen forderte eine Erklärung, warum man das Außenministerium in diesen Zeiten abgegeben habe, schriftlich wurde mehrmals die Frage gestellt, warum die Minister*innen nicht schon jetzt bekannt gegeben werden – insbesondere des für die Bekämpfung der Corona-Pandemie so wichtigen Gesundheitsministeriums.
In beiden Fällen ergreift Olaf Scholz das Wort – und erklärt zunächst zum Außenministrium: „Als Kanzler werde ich gar kein Ressort haben und trotzdem auf das ganze Regierungsgeschehen Einfluss nehmen.“ Es ginge in der neuen Koalition ohnehin darum, gemeinsam zu regieren, ergänzt er. Für die SPD-Ressorts bleibt der Kanzler in spe außerdem bei der vereinbarten Linie: Er wolle nach der Abstimmung über den Koalitionsvertrag am Wochenende ein Gesamtkabinett vorstellen.
Zweite Runde am Mittwoch
Eine zweite Digitalkonferenz zum Koalitionsvertrag wird es am Mittwochabend, den 1. Dezember, geben, erinnert Moderatorin Nala Brink. Für alle Parteimitglieder, die am Montagabend keine Zeit hatten oder die ihre Frage an diesem Abend noch nicht loswerden konnten. Norbert Walter-Borjans freut sich bereits auf den zweiten Termin, wie er bei Twitter noch am Montagabend schrieb: „Nur Präsenz ist schöner!“