Klaus Wettig: Ein sozialdemokratisches Vielfachtalent wird 80
Michael Gottschalk/photothek.net
In die Wiege gelegt war es Klaus Wettig nicht, dass er einmal politischer Berater, Europaabgeordneter, Wahlkampfmanager, Kulturmanager, Autor, Herausgeber, Lektor und Verleger sein würde. Das Sozialdemokratische an ihm schon, er entstammte einer so geprägten Arbeiterfamilie. Die ihn kennzeichnende Verbindung von hohem analytischem Intellekt mit einem tiefen Verständnis von Praxis und ihren Notwendigkeiten hat er sich selbst erarbeitet.
Wettig absolvierte zunächst eine Lehre als Schriftsetzer. Über den zweiten Bildungsweg kam er zum Studium von Jura und Sozialwissenschaften und wurde dann enger Mitarbeiter des Kultusministers Peter von Oertzen.
In der Nelkenrevolution mitgemischt
Im April 1974 brachten junge Offiziere die Rechtsdiktatur in Portugal zum Einsturz. Im Revolutionsrat gewannen die Kommunisten an Einfluss, in den USA wurde über eine militärische Intervention nachgedacht. Willy Brandt unterstützte politisch und finanziell und am Ende erfolgreich die Sozialisten Portugals, praktisch hat das Klaus Wettig 1975/1976 in Lissabon umgesetzt. Er trägt einen hohen portugiesischen Orden.
Von 1979 an war Klaus Wettig 15 Jahre lang Mitglied des Europäischen Parlaments. Er hat früh verstanden, dass ein guter Abgeordneter sich neben großen politischen Problemen auch um Details und Alltagsprobleme kümmern muss. Und dass dies auch für Europaabgeordnete gilt. So hat er frühzeitig eine tiefgreifende Reform der Agrarpolitik angemahnt, die damals 70 Prozent des Europäischen Haushalts beanspruchte. Gleichzeitig hat er im Agrarausschuss durchgesetzt, dass europäische Vorgaben nicht zum Aus für eine niedersächsische Wurstspezialität führten. Diese Dialektik von großen Linien und Arbeit am Detail hat ihn durchgängig, nicht nur an diesem Beispiel bestimmt.
Später hat er entlang der gleichen Logik die Einführung des Europäischen Binnenmarkts im Wirtschaftsausschuss kritisch und wirksam begleitet. Sein Einfluss ging aber über die engere Parlamentsarbeit weit hinaus. Er hat zusammen mit den jeweiligen Bundesgeschäftsführern 1984 und 1989 den Europawahlkampf der SPD entscheidend gestaltet und es geschafft, die Ergebnisse ganz in der Nähe der Bundestagswahlergebnisse zu halten. Der Song aus dem Wahlkampfspot 1989 hat es übrigens sogar in die Charts geschafft. Bedeutsam war auch seine Rolle als politischer Berater des damaligen SPD-Vorsitzenden Björn Engholm.
Förderer der Kultur
Während des Studiums hätten ihn, so Klaus Wettig über sich, vom Lernen besonders kulturelle Veranstaltungen abgehalten. So ist es kein Wunder, dass er nach seinem Ausscheiden aus dem Europaparlament an mehreren Schnittstellen zwischen Kultur und Politik tätig wurde. Ab 1996 baute er 15 Jahre lang die Kulturorganisation Freundeskreis Willy-Brandt-Haus in Berlin auf, die dort Ausstellungen, Diskussionen, Buchvorstellungen und Filmabende veranstaltet. Dabei hat er auch die Schaffung einer Kunstsammlung mit über inzwischen 2500 Werken vorangetrieben. In diesem Zeitraum war er auch Programmleiter der Verlagsgruppe Parthas, Verlag für Berlin-Brandenburg und vorwärts Buch.
Bei vielen Büchern hat er als Herausgeber oder Lektor gewirkt. Er hat viele Artikel über die Geschichte der Partei und über Organisationsfragen verfasst. Sein Buch „Mut zu Reformen“ über die SPD greift ihre strukturellen Probleme auf und gibt auch seine Erfahrungen als Unterbezirksvorsitzender, Mitglied des Bezirksvorstands Hannover und des Landesausschusses wieder. Trotz überörtlicher Aktivitäten war er immer im Einsatz, wenn örtliche Probleme in Göttingen Rat und Moderation erforderten. Heute ist er als Ortsvereinsvorsitzender Göttingen-Ost wieder an der Basis tätig.
Klaus Wettig hat sich nie in den Vordergrund gedrängt. Er hat verstanden, dass Machtausübung und wichtig zu sein zweierlei Ding sind. Wer Entscheidungen herbeiführen kann, übt Macht aus. Man muss die Blaskapelle nicht dirigieren, aber man muss sie bestellen können. Er hat so in seinen 58 Jahren Parteimitgliedschaft sehr viel Gutes für die SPD bewirkt, ohne in den Schlagzeilen zu sein. Nach seinem Lebensmotto befragt hat er in einem Interview geantwortet: „Was schief gehen kann, das geht auch schief.“ Dafür ist ihm aber sehr vielgelungen, was hätte schief gehen können.