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Kevin Kühnert: „Die Jusos sind der öffentlich wahrnehmbare Teil des linken Flügels in der SPD“

Auf dem Juso-Bundeskongress in Schwerin stellt sich Kevin Kühnert für zwei weitere Jahre als Vorsitzender zur Wahl. Im Interview spricht er über Erfolge, Fehler und welche Rolle die Jusos künftig in der SPD spielen wollen.
von Jonas Jordan · 22. November 2019
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Parteivorsitzender, Generalsekretär, Kanzlerkandidat – Sie wurden in den vergangenen Monaten für vieles gehandelt. Am Freitag treten Sie für zwei weitere Jahre als Juso-Bundesvorsitzender an. Warum?

Wir haben in den letzten zwei Jahren gezeigt, dass wir nicht nur die Folkloreabteilung der SPD sind, die fern am Horizont daran erinnert, dass auch alles anders sein könnte, sondern die wirklich im großen Spiel mitspielt und auch ihren Stempel aufdrückt. Das möchte ich gerne mit den Jusos noch ein bisschen weiter machen. 

Sie sind dieses Jahr 30 geworden. Wie stellen Sie sicher, als Vorsitzender auch die Interessen von Jusos zwischen 14 und 20 Jahren vertreten zu können?

Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass die Altersgruppe von 14 bis 35 keine einheitliche Generation ist. Die Lebensrealität von Menschen Anfang 30 ist eine völlig andere als die von 15- oder 16-Jährigen. Deshalb sind wir kein Vorstand von Anfang-30-Jährigen wie es bei der Jungen Union häufig zu sehen ist, sondern wir haben auch Anfang-20-Jährige mit dabei. Wir haben eine Gruppe für Schüler und Auszubildende, die deren Interessen eigenständig vertritt. Die Jusos halten aber auch jung. Ich bin sicherlich näher an der Jugendkultur dran, als es viele Anfang-30-Jährige sonst normalerweise sind.

In Ihrem Kandidaturschreiben verweisen Sie auf viele Erfolge der vergangenen beiden Jahre wie die Abkehr von Hartz-IV, die Reaktivierung der Vermögensteuer, die Einführung einer Mindestausbildungsvergütung, die Entlassung von Hans-Georg Maaßen und der Einzug von zwei Jusos im Europaparlament – welches war Ihr größter Erfolg?

Für den Verband war es das, was wir zur Situation von Auszubildenden geschafft haben. Damit hat schon meine Vorgängerin Johanna Uekermann begonnen. Das war engstes Zusammenspiel mit den Gewerkschaftsjugenden über Jahre hinweg. Dass wir jetzt einen Mindestlohn für Auszubildende haben, dass es einen freien Tag vor Prüfungen gibt, dass ein Berufsschultag kein anschließender Arbeitstag im Betrieb mehr ist – all das ist unseretwegen zustande gekommen und durch richtig gute Teamarbeit in der SPD. Das wird die Lage für hunderttausende Auszubildende verbessern. Das begeistert an der politischen Arbeit, zu wissen: Wir haben es angeschoben und jetzt wird es besser. 

Trotzdem schneidet die SPD insbesondere bei Menschen unter 30 nicht besonders gut ab. Was müssen die Jusos besser machen?

Ich habe mich gefreut, dass viele Jusos in diesem Jahr bei Fridays For Future sofort mit an Bord waren, gerade im ländlichen Raum. Dort sind es häufig unsere Mitglieder, die die Proteste seit Monaten organisieren und uns damit gezeigt haben, dass wir selbst bisher in unseren Beschlüssen unnötig weit zurückgeblieben sind. Wir haben letztes Jahr noch rumgeschwurbelt, als es um ein konkretes Kohleausstiegsdatum ging. Dieses Jahr haben uns unsere Mitglieder gezeigt, dass sie im Kopf schon drei Schritte weiter sind. Deswegen werden wir jetzt auf diesem Juso-Bundeskongress nachziehen. 

Was war Ihr größter Fehler in den vergangenen beiden Jahren?

Beim Bundesparteitag im Dezember 2017 in Berlin waren wir nicht gut darauf vorbereitet, mehr junge Leute nach vorne zu bringen. Deswegen haben wir heute einen SPD-Parteivorstand, der nicht so jung ist, wie wir uns das wünschen würden. Das müssen wir uns selbst zuschreiben, weil wir nicht das entsprechende Angebot unterbreitet haben. Da habe ich mich manchmal in den letzten zwei Jahren über uns selbst geärgert.

Sie selbst haben in dieser Woche angekündigt, für den Parteivorstand kandidieren zu wollen.

Genau, aber es geht nicht darum, dass da nur einer von den Jusos sitzt. Es geht uns darum, die gesellschaftlichen Verhältnisse besser abzubilden. Wir wollen uns als Verband so breit aufstellen, dass auch andere Gesichter nach vorne kommen und Verantwortung übernehmen.

Bei Ihrer ersten Wahl zum Juso-Vorsitzenden vor zwei Jahren in Saarbrücken bekamen Sie etwa 75 Prozent Zustimmung. Auf welches Ergebnis hoffen Sie diesmal?

Zur Einordnung: Das war das beste Ergebnis eines Juso-Vorsitzenden seit 50 Jahren. Nach zwei Jahren guter Arbeit freue ich mich, wenn es noch ein Tick mehr wird, aber bitte keine 100 Prozent. 

Welche politische Signalwirkung wünschen Sie sich vom Juso-Bundeskongress in Schwerin?

Wir werden das erste Mal nach elf Jahren ein längeres Grundsatzpapier beschließen, das Schweriner Manifest. Darin werden wir uns intensiv damit auseinandersetzen, was Demokratisierung von Wirtschaft und Arbeit in Zeiten der Digitalisierung heißt. Wir wollen außerdem signalisieren, dass die Jusos der öffentlich wahrnehmbare Teil des linken Flügels in der SPD sind. Den Anspruch, das auszufüllen, nehmen wir an. Denn die Jusos sind zwar ein Jugendverband für Menschen zwischen 14 und 35 Jahren. Juso zu sein ist aber auch eine Einstellungsfrage. Ich habe in den letzten Jahren viele 80-jährige Jusos getroffen, die mit Leuchten in den Augen gesagt haben: „Vor allem wegen euch bin ich noch mit dabei und kämpfe mit.“

Welches sind Ihre Ziele für die kommenden zwei Jahre, auch mit Blick auf den nächsten Bundestagswahlkampf?

Die Sozialismusdiskussion, die wir dieses Jahr angestoßen haben, wollen wir konkret machen. Wir wollen zeigen, dass Betriebe in der Hand von Beschäftigten, Genossenschaften und ähnliches keine spinnerte Utopie sind, sondern dass das die Realität ist. Das gibt es schon und sowas kann man auch in unseren gesellschaftlichen Verhältnissen umsetzen über Betriebsräte und Gewerkschaften. Auf die nächste Bundestagswahl wollen wir uns insofern vorbereiten, dass wir unser Versprechen umsetzen können, uns zu verjüngen und den Kurs ein Stück weit zu korrigieren. Wir wollen dafür sorgen, dass die SPD auch auf der Straße ein anderes Gesicht bekommt. Wir sind jetzt 80.000 Mitglieder – so viele, wie seit langem nicht. Das soll man im Alltag gerne sehen dürfen, wenn die SPD irgendwo auftritt.

„Wer die Arbeit im Callcenter lächerlich findet, sagt damit sehr viel über sein eigenes trauriges Menschenbild.“

Die Reaktionen auf Ihre politische Arbeit reichen von „Er ist die Rettung der SPD“ bis hin zu „Ach, der kleine Kevin aus dem Callcenter“. Warum polarisieren Sie so sehr?

Politische Debatten neigen zur Polarisierung, weil Menschen Klarheit haben wollen. Klarheit heißt häufig auch lieben oder hassen. Ich habe überhaupt kein Problem, Widerspruch in der Sache zu kriegen. Ich weiß auch, dass meine Positionen und die der Jusos streitbar sind. Das sollen sie auch sein, aber wir wollen nicht, dass das auf eine persönliche Ebene, ins Beleidigende abgleitet. Ich versuche dem entgegenzuwirken, indem ich nicht mit gleicher Münze zurückzahle. Ich beleidige niemanden und arbeite mich an Positionen ab, nicht an Menschen. Übrigens: Wer die Arbeit im Callcenter lächerlich findet, sagt damit vor allem sehr viel über sein eigenes trauriges Menschenbild.

Werden Sie heute anders wahrgenommen als vor zwei Jahren?

Ich bin heute eine Person des öffentlichen Lebens und werde an jeder Straßenecke erkannt. Das ändert im Umgang miteinander ein bisschen was, weil die Anonymität weg ist.

Trotzdem wohnen Sie weiter in Berlin-Schöneberg in einer WG und fahren mit der U-Bahn. Welchen Unterschied macht es da, wenn einen plötzlich alle erkennen?

Ich bekomme ganz viele Rückmeldungen für meine politische Arbeit. Es hilft der Politik insgesamt, weil viele Menschen überrascht sind, einen Politiker in der U-Bahn oder in der Bahn in der 2. Klasse zu sehen – was mich wiederum manchmal überrascht.

Sie sind großer Schlager-Fan. Welcher Schlager beschreibt die SPD gerade am besten und welcher sollte sie in zwei Jahren beschreiben?

Die jetzige Situation ist ein bisschen mehr „Sieben Fässer Wein“, um den Frust manchmal zu ertränken. Es wäre schön, wenn es in Zukunft ein bisschen mehr „Fiesta Mexicana“ wäre, weil das bedeuten würde, dass wir tatsächlich mal wieder etwas zu feiern hätten. Insofern würde ich, auch wenn es mir leid tut, in diesem Fall von Roland Kaiser zu Rex Gildo wechseln

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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