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Parteileben

Kerstin Gardill nimmt es mit Markus Söder auf

Die bayerische SPD-Landtagskandidatin Kerstin Gardill ist alleinerziehend - und musste sich deswegen schon blöde Sprüche anhören. Bei der Landtagswahl kandidiert sie im Wahlkreis gegen Ministerpräsidenten Markus Söder.
von Fabian Schweyher · 28. June 2018
Kerstin Gardill
Kerstin Gardill

Wenn Kerstin Gardill nachts von einem Wahlkampftermin nach Hause kommt, schlafen die Kinder oft schon. In ihrer Abwesenheit haben sich die Großeltern um Karl (9) und Luise (8) gekümmert, für sie gekocht und sie ins Bett gebracht. Leise schleicht Gardill dann in das Schlafzimmer, das sie sich mit ihrem Sohn teilt. Im Leben der Nürnberger Landtagskandidatin wären viele Dinge ohne fremde Hilfe kaum möglich. Der Vater ihrer Kinder wohnt schließlich in Berlin.

„Sechser im Lotto“

Oft ist es kräftezehrend, den Alltag zu meistern – auch ohne Wahlkampf. „Alleinerziehende haben nie Pause“, sagt die 41-Jährige, die nicht nur ihren Kindern gerecht werden will. Sie ist auch verantwortlich für Haushalt und Familieneinkommen. „Das Damoklesschwert der Existenzangst schwebt immer über mir“, beschreibt sie das Bewusstsein, alleinverantwortlich zu sein. Und manchmal sei eben alles doch zu viel, etwa wenn sich die Wäscheberge türmen. „Das ist sehr unbefriedigend.“

Nichtsdestotrotz hält sich Kerstin Gardill für „privilegiert“: Neben der Hilfe durch die Eltern hat sie ein festes Gehalt dank ihrer Tätigkeit im Wahlkreisbüro der Nürnberger Bundestagsabgeordneten Gabriela Heinrich. In dem Teilzeit-Job, den sie als „Sechser im Lotto“ bezeichnet, kann sie von daheim arbeiten, falls ein Kind krank sein sollte. „Meine Arbeit­geberin hat Verständnis, dass ich als ­Alleinerziehende nicht in starren Strukturen im Büro sitzen kann“, sagt sie.

Wahlkampf in den Schulferien

Der Wahlkampf für die bayerische Landtagswahl ist in einer solchen Lebensituation eine weitere Herausforderung. Gardill hat deswegen ihre Arbeitsstunden reduziert. „Es ist sehr viel los.“ An vielen Abenden nimmt sie Termine wahr. In den acht Wochen vor der Wahl im Oktober will sie sich freistellen lassen. „So kann ich flexibler sein“, sagt sie. Schließlich hätten Karl und Luise im August Sommerferien. „Ich könnte diese Kandidatur nicht machen, wenn ich nicht meine Eltern hätte und nicht flexibel arbeiten könnte.“

Im Wahlkreis Nürnberg-Ost trifft sie auf einen mächtigen Konkurrenten: den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder. Gardill lässt das kalt. Sie will so viele Stimmen wie möglich sammeln und in den Landtag einziehen. Dafür setzt sie auf kommunale Themen und will mit ihrer Verortung in Stadt und Umland punkten. Schließlich umfasst der Wahlkreis auch Teile des Nürnberger Lands. Die 41-Jährige selbst wurde in Nürnberg geboren, lebt aber etwas außerhalb in Altdorf.

Unangemessene Sprüche

Dieser Ortsbezug war auch der Grund, warum sie angesprochen wurde, ob sie nicht für das Direktmandat kandidieren wolle. Für Gardill kam das überraschend. Aber sie freundete sich schnell mit der Idee an. Im November wurde sie mit 100 Prozent als Kandidatin nominiert.

Kerstin Gardill ist der Partei in Nürnberg dankbar, dass sie ihr die Kandidatur ermöglicht hat, obwohl sie alleinerziehend ist und nicht in der Stadt lebt. Auf dem Land ist die 41-Jährige hingegen auch schon auf Häme gestoßen, wenn sie sich für ein Parteiamt bewerben wollte. „Da kamen Sprüche wie: ‚Die ist doch eh nie da‘ oder ‚Du kannst deine Kinder als Ausrede benutzen, wenn du nicht zur Sitzung kommst‘“, schildert sie. „Das tut wahnsinnig weh – erst recht, wenn es von den eigenen Leuten kommt.“

Abschlussarbeit über Willy Brandt

Die Historikerin kommt aus keiner SPD-Familie, auch wenn ihr Werte wie soziale Gerechtigkeit, Gleichheit und Gleichberechtigung mitgegeben wurden. Diese verbinden sie mit der SPD, in die sie 2002 eintritt. Ihr Geschichtsstudium beendet sie mit einer Arbeit über Willy Brandt. In Berlin arbeitet sie für die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung und den SPD-Bundestagsabgeordneten Horst Schmidbauer.

Nach einer Tätigkeit in Wien geht sie zurück nach Nürnberg, Nach der Trennung von dem Vater ihrer Kinder wurde das Leben schwieriger. „Ich hatte plötzlich ein existenzielles Problem“, schildert Kerstin Gardill. Als allein­erziehende Mutter musste sie weiter auch Geld verdienen. Glück im Unglück: Die Eltern wohnen in der Nähe, und sie bekommt die Zusage für ihren heutigen Arbeitsplatz.

Kostenlose Kindertagesstätte

Einer ihrer politischen Schwerpunkte ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. „Die Arbeit muss flexibler eingeteilt werden können, ohne dass man deswegen Angst vor einem Abstieg oder Karriereabstrichen haben muss“, sagt sie.

Nebem dem Rückkehrrecht von Teil- auf Vollzeit wünscht sie sich Ganztagsschulen, einen Rechtsanspruch auf Ganztagesbetreuung schon im Grundschulalter sowie kostenlose Kindertagesstätten. „Das ist für mich echte Chancengleichheit, dass ich unabhängig von meinem Geldbeutel weiß, dass meine Kinder ordentlich betreut werden.“ Insgesamt hofft sie, dass die SPD ein Stück weiter nach links rücktn

Autor*in
Fabian Schweyher

ist Redakteur des vorwärts.

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