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Kanzlerkandidat Schulz: Die Gefahren der Euphorie

Seit bekannt ist, dass Martin Schulz Kanzlerkandidat der SPD wird, ist die Partei euphorisch. Das ist schön und gefährlich zugleich. Die Sozialdemokraten sollten sich nicht nur auf ihren neuen Spitzenmann verlassen – sondern alte Kämpfe endlich beenden.
von Karin Nink · 29. Januar 2017
Schulz-Anhänger am Sonntag im Willy-Brandt-Haus: Nicht allein auf die Wirkung des neuen Spitzenmanns verlassen
Schulz-Anhänger am Sonntag im Willy-Brandt-Haus: Nicht allein auf die Wirkung des neuen Spitzenmanns verlassen

Martin Schulz schlägt eine Welle der Sympathie entgegen, die Partei ist euphorisch. Das zeigte sich gerade bei der Nominierungsveranstaltung am Sonntag im Willy-Brandt-Haus. Der designierte Parteivorsitzende und Kanzlerkandidat macht deutlich: Er will Kanzler werden in einer SPD-geführten Regierung. Die Genossinnen und Genossen sind begeistert, es herrscht in der deutschen Sozialdemokratie eine Aufbruchsstimmung wie lange nicht mehr.

Endlich Frieden machen mit der Agenda 2010

Doch in dieser vor kurzem noch nicht zu erwartenden Euphorie liegen auch Gefahren. Die Gefahr, dass die Partei sich zu ausschließlich auf die Wirkung des neuen Spitzenmannes verlässt. Die Gefahr, dass für alles, was zuvor schief gelaufen ist, unreflektiert nur die alte Parteispitze verantwortlich gemacht wird und damit verbunden die Gefahr, dass nicht genau hingeschaut wird, was auf allen Ebenen der SPD geregelt und sortiert werden muss.

Der eine oder die andere sollten zum Beispiel endlich Frieden machen mit der Agenda 2010, die unter der Leitung von Sigmar Gabriel sinnvoll korrigiert wurde. Wer im 21. Jahrhundert für mehr soziale Gerechtigkeit in diesem Land und in der Welt sorgen will, sollte sein Mütchen nicht permanent an Reformen der Vergangenheit kühlen, die bei aller berechtigten Kritik aber auch geholfen haben, dass „der kranke Mann Europas“, also Deutschland, heute wirtschaftlich so gut dasteht und die Arbeitslosigkeit so niedrig ist wie seit 25 Jahren nicht. Und wer den wachsenden Rechtspopulismus  und Rechtsradikalismus in Deutschland und Europa eindämmen will, muss darauf achten, dass er einem falschen Populismus von Links nicht das Wort redet. Die Gefahr besteht und war bei den Protesten zu TTIP und Ceta greifbar.

Jetzt braucht es eine geschlossene Partei

Die SPD hat mit Martin Schulz einen großartigen Spitzenkandidaten. Einer, der mit seiner Empathie und seiner Biographie Menschen mitreißen kann – auch die, die sich frustriert von der SPD abgewendet haben oder die in pessimistischer Warteposition auf Abstand zur SPD geblieben sind. Martin Schulz ist leidenschaftlich, authentisch und mit ursozialdemokratischen Überzeugungen ausgestattet. Aber auch er braucht eine geschlossene Partei, die auf allen Ebenen nach vorne schaut, alte Auseinandersetzungen endgültig ruhen lässt und gemeinsam für einen Sieg im September 2017 kämpft. Nur so ist die Kanzlerschaft erreichbar.

In der anstehenden Bundestagswahl liegt eine historische Chance nicht nur für die Sozialdemokratie in Deutschland, sondern auch für die Sozialdemokratie in ganz Europa. Diese Chance sollten wir alle nutzen – ab sofort!

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Karin Nink

ist Chefredakteurin des "vorwärts" und der DEMO – Das sozialdemokratische Magazin für Kommunalpolitik sowie Geschäftsführerin des Berliner vorwärts-Verlags.

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