Junge Sozialdemokratin gewinnt CDU-Hochburg
Eigentlich war die CDU vollkommen überzeugt davon, dass sie wieder die Wahl gewinnt. Das war schließlich schon immer so. Aber diesmal lief es anders. Nicole Sander, 34 Jahre jung, ist auf die Bürger zugegangen, hat mit ihnen gesprochen und offenbar den richtigen Ton getroffen. „Ich bin einfach von Haus zu Haus gegangen“, erinnert sie sich an ihren Wahlkampf, der sie im Mai 2014 zur Bürgermeisterin im konservativ geprägten Neunkirchen-Seelscheid gemacht hat. Die Gemeinde liegt tief im Bergischen Land, ein gutes Stück hinter Köln und Bonn.
Als bei der Stimmenauszählung am Wahltag ein Wahlkreis nach dem anderen an die Jungsozialistin ging, war schnell klar, dass die SPD künftig die Rathaus-Chefin stellt. Nicole Sander konnte es „kaum glauben“. Doch die Menschen haben ihr Engagement belohnt. „Ich habe viele Gespräche geführt und mir die Sorgen der Bürger angehört.“ Das hat ihr den Sieg gebracht.
Chancengleichheit für alle
Warum hat sie sich gerade in der SPD engagiert? „Chancengleichheit für alle, das ist mir wichtig.“ Als sie nach dem Abitur eine Ausbildung bei der Kreisverwaltung in Siegburg machte, fiel Sander auf, „dass es Menschen gab, die einen schlechten Start ins Berufsleben hatten, weil sie in der Familie nicht entsprechend gefördert worden waren. Wenn man ihnen aber genügend Zeit gab, dann überholten sie aufgrund ihres Fachwissens auch schon mal die Kollegen, die zunächst eine bessere Startposition hatten.“ Sanders Philosophie: Man muss Menschen Zeit geben, ihren Weg zu finden, und ihre Ansichten respektieren. Ihre Mitarbeiter im Rathaus haben den neuen Ton schon bemerkt. „Die Meinung der Kollegen ist mir wichtig, denn nur zusammen können wir optimale Arbeit leisten.“ Auch deswegen hat Nicole Sander schnell Rückhalt bekommen, und zwar bei allen Jahrgängen.
Die gute Zusammenarbeit von Alt und Jung – die im Rathaus gelungen ist – stellt die Parteien und ihre Gliederungen vor enorme Schwierigkeiten. Alle großen Parteien in Deutschland haben zurzeit Nachwuchsprobleme. Sanders Analyse ist klar: „Der erste Berührungspunkt für potenzielle Mitglieder ist meist die Kommunalpolitik, aber der Altersdurchschnitt in den Räten ist sehr hoch. Das reizt junge Menschen nicht unbedingt.“ Bei ihren Gesprächen im Wahlkampf sei sie sehr oft auf die Vergreisung der Politik angesprochen worden. „Als ich dann Bürgermeisterin war“, erzählt Sander, „kam ein Erstwähler auf mich zu und rief freudig ,Ich habe sie gewählt!‘“ Sanders Erfolg war auch sein Erfolg.
Antreten zum Aufräumen
Vorbereitet hat diesen Erfolg ihr SPD-Fraktionsvorsitzender Peter Schmitz, selbst ein Senior der Kommunalpolitik. Er wollte mit einem völlig neuen Konzept die Wähler überraschen und setzte auf die Jugend. „Eine neue und junge Kandidatin sollte den Wählern zeigen, dass man vieles anders angehen kann“, erklärt der 64-Jährige seine Idee. Das Konzept ging auf, die junge Nicole Sander durfte antreten zum Aufräumen.
Das will Nicole Sander auch tun. „Man muss den Mut haben, neue Wege zu gehen“, sagt sie. Im Wahlkampf hat sie zum Beispiel gezielt Flyer für junge Wähler verteilt und soziale Netzwerke genutzt. Das hat nicht nur die Jungen angesprochen, sondern auch ältere Bürger. „Die Welt ist heute schnell, sie entwickelt sich rasant“, konstatiert Sander. „Als Politiker ist man gefordert, sich stets neuen Dingen zu öffnen.“
Deshalb spricht sie auch Themen an, die nicht jeder hören mag. „Es gibt in vielen Parteien zu feste Strukturen. Man arbeitet seit Jahren zusammen, kennt sich, vieles ist eingefahren. Neue Mitglieder haben es in solchen Strukturen schwer.“ Selbst wenn manche Vorgehensweise sich in der Vergangenheit bewährt habe – es fehle zu oft der Mut, sie an die Gegenwart anzupassen. Junge Menschen seien zwar willkommen, aber das Interesse, alles auf den Prüfstand zu stellen, sei bei den langjährigen Mitgliedern nur schwach ausgeprägt.
In Sanders Analyse klingt das so: „Jungen Menschen fehlen einfach die Ansprechpartner in den Parteien.“ Bei den großen Volksparteien klaffe eine Lücke in der Altersgruppe der 20- bis 40-Jährigen. Es fehlt also eine ganze Generation mit den für sie typischen Interessen, Sorgen und Erfahrungen. „Es fehlen die Menschen, die selber noch vor kurzem auf dem Skateboard gefahren sind oder bis morgens um fünf in der Disko waren.“ Genau diese Generation aber verstehe die Jugend und ihre Bedürfnisse, weil sie noch ganz nah dran ist. Menschen wie Nicole Sander gehen Probleme dieser Altersgruppe entsprechend impulsiver an, von einem gesetzten Standpunkt aus könnte man gar sagen: radikaler. Ihr Erfolg spricht jedenfalls für sie.