Jessica Rosenthal: „Wir brauchen einen anderen Sound im Bundestag“
Thomas Trutschel/photothek.de
Erstmals seit Monaten gibt das RKI für Bonn in dieser Woche einen Wert von unter 50 an. Erleichtert das Ihren Wahlkampf?
Auf jeden Fall. Wir hatten in Bonn ziemlich lange sehr hohe Inzidenzen. Insofern ist es gut, dass die Werte auch hier langsam runter gehen, vor allem für die Gesundheit von uns allen. So kann das normale Leben zurückkehren, nach dem wir uns alle sehnen. Sobald ich vollen Impfschutz habe, mache ich Tür-zu-Tür-Wahlkampf bis zum Umkippen.
Sind Sie als Lehrerin priorisiert bei der Impfung?
Ja, genau. Ich bin schon länger mit den Schüler*innen zurück im Präsenzunterricht. Wir sind inzwischen wieder in Vollbesetzung in der Schule. Da ist es gut, wenn zumindest die Lehrkräfte durch eine Impfung geschützt sind, solange es für Kinder noch nicht möglich ist. Ich hoffe, dass jetzt endlich alle Menschen die Möglichkeit dazu haben.
War es bislang ein Wahlkampf mit angezogener Handbremse?
Nein, gar nicht. Wir haben sofort losgelegt. Die erste Flyerrunde liegt hinter uns, Plakate mit einer regelmäßigen Möglichkeit mich kennenzulernen stehen. Ich habe hier in Bonn ein super tolles Team. Letztes Wochenende haben wir uns mit mehr als 40 Leuten zusammengeschaltet, um weitere Aktionen zu planen. Die Homepage ist online. Der Tür-zu-Tür-Wahlkampf geht los. Auch die ersten Veranstaltungen sind geplant. Wir sind voll im Lauf. Das muss auch so sein, denn ich will in Bonn das Direktmandat gewinnen.
Von den 299 SPD-Direktkandidat*innen sind 34 jünger als 30 Jahre, Sie eingeschlossen. Mehr als 100 Kandidat*innen sind unter 40. Spüren Sie da als Juso-Bundesvorsitzende eine besondere Verantwortung?
Diesmal ist der Slogan „Jusos in die Parlamente“ mit ganz klaren Zahlen hinterlegt. Das freut mich total. Denn wir haben auch in der Corona-Pandemie gesehen, dass wir junge Menschen im Parlament brauchen. Wir brauchen einen anderen Sound im Bundestag. Den wollen wir anstellen und werden ziemlich viel dafür liefern.
Was sind die zentralen Punkte der Juso-Wahlkampagne?
Für uns geht es darum, dass junge Menschen alles aus ihrem Leben machen können. Daher wollen wir eine umlagefinanzierte Ausbildungsplatzgarantie. Wir wollen ein BAFÖG, das man nicht mehr zurückzahlen muss und das nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängt. Wir wollen Wohnungen, die man sich leisten kann, damit man dort zu Hause sein kann, wo man möchte. Wir wollen, dass der Nahverkehr ausgebaut wird und finanzierbar ist.
Das passt ganz gut zu einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, laut der sich junge Menschen bis 35 einen aktiven Staat wünschen, der investiert statt spart.
Genau. Wir sagen seit Jahren und Jahrzehnten, dass wir genau so einen Staat brauchen. An ganz viele Stellen sehen wir, dass der Staat wesentliche Weichenstellungen in der Vergangenheit nicht ausreichend vorgenommen hat. Die Infrastruktur ist völlig kaputtgespart. Das haben wir durch Homeoffice, Home-Schooling und Home-Studium überall gemerkt. Wir haben beim Glasfaserausbau einen Investitionsstau in Höhe von 20 Milliarden Euro. Da muss dringend etwas passieren. Wir wollen weiter Industriestandort bleiben, nur eben ökologisch transformiert. Deswegen brauchen wir einen Staat, der jetzt das Land für die Zukunft fit macht. Dafür treten wir Jusos, und allen voran unsere Bundestagskandidierenden, massiv ein.
Als Lehrerin sind Sie auch beruflich stark in Kontakt mit jungen Menschen. Welche Wünsche und Bedürfnisse erleben Sie da?
Sie wollen eine Stimme haben, wahrgenommen und ernst genommen werden. Das wird mir sehr klar gespiegelt. Das Home-Schooling war für viele schwierig, hat eine hohe Arbeitsbelastung und großen Druck mit sich gebracht. Dass jetzt teilweise so getan wird, als wäre nie etwas gewesen, wird niemandem gerecht. Das führt zu immenser Frustration. Deswegen braucht es junge Menschen in der Politik, die diese Probleme aus eigener Erfahrung kennen und angehen.
Wie nehmen Sie die Stimmung im Wahlkampf bislang wahr?
Ich spüre auch hier in Bonn den großen Wunsch, dass sich kulturell in der Politik etwas verändert. Viele sagen: Es ist gut, dass auch jüngere Menschen antreten, die einen anderen Blickwinkel auf verschiedene politische Themen haben. Da zähle ich mich dazu. Diese Erfahrung machen gerade viele unserer jungen Kandidierenden. Deswegen sehe ich darin eine große Chance. Der gesamte Verband wird sich die Hacken wund laufen und versuchen, alles zu erreichen.
Inwiefern unterscheidet sich die Kampagne der Jusos von früheren Bundestagswahlkämpfen?
Der Online-Wahlkampf wird eine große Rolle spielen. Da sehe ich uns als Jusos sehr gut aufgestellt. Doch auch der physische Kontakt ist nicht zu unterschätzen. Für mich in Bonn ist der Tür-zu-Tür-Wahlkampf ein ganz wichtiges Element und ich weiß, dass es bei den meisten Juso-Kandidierenden genauso ist. Insofern wird es eine Mischung aus Online- und Präsenzwahlkampf sein. Größere Veranstaltungen sehe ich aber trotz sinkender Inzidenzwerte skeptisch.
Viele Jusos kandidieren auf aussichtsreichen Listenplätzen. Wie würde es die Arbeit der SPD-Bundestagsfraktion verändern, wenn sie den Einzug ins Parlament schaffen?
Was uns stark macht, ist der Schulterschluss zwischen allen Generationen und vielfältigen Perspektiven. Deswegen ist es super wichtig für die Glaubwürdigkeit der SPD, dass auch mehr junge Menschen im Parlament vertreten sind. Wir werden aber nicht nur als junge Menschen, sondern vor allem aus unserer jungsozialistischen Perspektive eine ganze Menge verändern und ich glaube auch, dass wir auch in der Fraktion diese Veränderung brauchen.
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ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo