Jan Stöß: „Das hat die Partei aktiviert.“
Vor wenigen Tagen hat die Berliner SPD eine Mitgliederbefragung gestartet, um ihr Programm für die Abgeordnetenhauswahl im kommenden Jahr zu erstellen. Sind Sie mit dem bisherigen Verlauf zufrieden?
Ja, der Prozess zu unserem Wahlprogramm für 2016 läuft sehr gut und mit breiter Beteiligung unserer Mitglieder. Wir hatten bereits im letzten Dezember unsere Mitglieder gefragt, was für sie die wichtigsten Themen in der Berliner Landespolitik sind. Zu den fünf wichtigsten Themen haben wir dann Programmkonferenzen gemacht – zu Wohnen und Stadtentwicklung, Bildung, Wirtschaft und Arbeit, Inneres und Integration. Auf jeder Konferenz wurden die wichtigsten Forderungen bestimmt. Außerdem haben unsere Fachausschüsse, Arbeitsgemeinschaften und Foren umfangreiche Thesenpapiere zum Wahlprogramm erarbeitet. Und nun folgt die Mitgliederbefragung, die bisher auf sehr viel Zuspruch stößt. Bereits nach zwei Tagen haben sich mehr als zehnt Prozent unserer 17 000 Mitglieder beteiligt und ich hoffe, es machen noch möglichst viele mit.
Warum gehen Sie diesen etwas ungewöhnlichen Weg und machen nicht einen Vorschlag als Parteiführung, über den dann ein Parteitag entscheidet?
Wir haben in den letzten Jahren gute Erfahrungen mit Mitgliederbefragungen gemacht, beim Koalitionsvertrag auf Bundesebene oder bei der Nachfolge von Klaus Wowereit als Regierendem Bürgermeister. Das hat die Partei wirklich aktiviert, es gab viele gute Diskussionen in der SPD und am Ende klare Ergebnisse. Die Berliner SPD hat dadurch auch kräftig Mitglieder gewonnen. Und die Mitglieder wollen auch weiterhin bei inhaltlichen Fragen stärker einbezogen werden. Mit unserem Basisvotum gehen wir da jetzt den nächsten Schritt, indem bereits bevor der erste Entwurf des Wahlprogramms vorliegt, über ganz konkrete Sachfragen entschieden werden kann. Am Ende werden wir ein Wahlprogramm haben, an dem wirklich alle unsere Mitglieder mitarbeiten konnten.
Sie stellen Ihren Mitgliedern zwölf Fragen von Kopftuchverbot bis Cannabis-Legalisierung. Wie sind die Fragen zustande gekommen?
In den meisten wichtigen politischen Fragen sind wir uns in der Berliner SPD einig: Wir wollen eine humane Flüchtlingspolitik, mehr bezahlbarer Wohnraum, mehr Investitionen in unser Bildungssystem oder gute Arbeit. Darüber müssen wir nicht abstimmen. Aber es gibt eben auch Fragen, über die man gut unterschiedlicher Meinung sein kann. Zum Beispiel, ob wir bei der Kita auch für Kinder unter drei Jahren gleich die vollständige Gebührenbefreiung für alle wollen, unabhängig vom Einkommen – oder zunächst mehr in die Qualität investieren, in einen besseren Betreuungsschlüssel und eine bessere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher. Oder die Öffnungszeiten für die Berliner „Spätis„: Sie sind mittlerweile ein Teil der Kiezkultur, geraten aber wirtschaftlich unter Druck, weil unter der Woche in Berlin auch viele Supermärkte durchgehend geöffnet sind. Wollen wir den Spätis erlauben, als Teil eines lebendigen Kiezes auch sonntags zu öffnen oder halten wir am Sonntagsverkaufsverbot fest? Das sind nur zwei der zwölf Fragen, um die es jetzt beim Basisvotum geht.
Die Mitglieder können mit Ja, Nein oder Enthaltung antworten und Antworten gewichten. Wird das Wahlprogramm so nicht recht beliebig?
Diese Befürchtung habe ich nicht. Die SPD wird in ihrem Wahlprogramm darstellen, wie wir das Wachstum der Metropole Berlin gestalten wollen, damit Berlin eine solidarische Stadt bleibt. Dazu gehören für uns auch mehr Investitionen in unsere Infrastruktur, in die Verwaltung, ins Bildungssystem und in bezahlbaren Wohnraum, ohne dabei den Weg der Haushaltskonsolidierung aufzugeben. Mit unserer Wirtschaftspolitik wollen wir für mehr Arbeitsplätze in Berlin sorgen. Das wird am Schluss im Wahlprogramm sehr deutlich werden und dafür steht die Berliner SPD mit ihrem Regierenden Bürgermeister Michael Müller.
Die Befragung läuft noch bis zum 6. November. Was passiert danach?
Die Ergebnisse werden bis zum Landesparteitag am 14. November vorliegen. Danach werden wir bis Januar in der Steuerungsgruppe den ersten Entwurf für unser Wahlprogramm erarbeiten, der im Anschluss auf einer Klausurtagung im Landesvorstand beraten wird. Dann geht der Entwurf den Weg durch unsere Gremien und Gliederungen, wo natürlich noch Änderungen vorgenommen werden können, bevor das Wahlprogramm schließlich auf einem Landesparteitag beschlossen wird. Im Frühjahr werden wir mit allen Berlinerinnen und Berlinern in einen breit angelegten Dialog eintreten, welche Erwartungen sie an das SPD-Wahlprogramm haben. Und dann hoffentlich nach dem Wahltermin am 18. September 2016 möglichst viel davon für Berlin umsetzen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.