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Impulsveranstaltung: Solidarität im digitalen Kapitalismus

Wie ist Solidarität im digitalen Kapitalismus möglich? Diese Frage diskutierte Andrea Nahles am Donnerstag mit Trebor Scholz, Associate Professor an der New Yorker New School. Scholz‘ Vorschlag lautet: Plattform-Kooperatismus – Nahles kann dem viel abgewinnen.
von · 24. August 2018

Wer sich heute im Internet bewegt, der tut das fast ausschließlich über digitale Plattformen: Tinder hilft bei der Partnersuche, Uber übernimmt die Fahrt zum nächsten Termin, Foodora liefert das Essen direkt vor die Haustür. Die sogenannte „Sharing Economy“ war ursprünglich darauf ausgelegt, etwas zu teilen, anderen einen Nutzen zu verschaffen. Doch die Idee des Teilens spielt derzeit kaum noch eine Rolle, stattdessen gilt die Devise: „The winner takes it all“. Monopole dominieren den Markt, es fehlt an Regulierung und alternativen Geschäftsmodellen.

Ist Solidarität unter diesen Umständen und in dieser Art der Wirtschaft überhaupt möglich? Diese Frage diskutierten am Donnerstagabend die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles und Trebor Scholz, Associate Professor an der New School in New York: Unter dem Motto „Solidarität im digitalen Kapitalismus“ hatte die SPD ins Berliner Willy-Brandt-Haus (WBH) geladen. Die Veranstaltung gehört zu der Reihe „Impuls“, im Rahmen derer die SPD über die großen Zukunftsfragen diskutieren möchte – mit Expertinnen und Experten, aber auch mit Bürgerinnen und Bürgern sowie Parteimitgliedern. Die Frage nach der Solidarität im digitalen Kapitalismus scheint viele Menschen zu beschäftigen, das Atrium im WBH war bis auf den letzten Platz gefüllt.

Die Prinzipien des Plattform-Kooperatismus

Trebor Scholz präsentierte sein Konzept des Plattform-Kooperatismus: Der aktuelle Plattform-Kapitalismus, so Scholz „nützt den Wenigen, nicht den Vielen“. Er basiere auf einer Machtasymmetrie zwischen Internetnutzern und Betreibern. Viele Plattformen böten keinen Schutz vor Diskriminierung, ein Teil der Bevölkerung würde einfach „zurückgelassen“. So beispielsweise bei Airbnb, wo die Wohnungen und Häuser nicht-weißer Nutzer seltener gebucht würden als die von weißen. Scholz findet: „Es ist an der Zeit, uns zu fragen, welche Art von Wirtschaft wir wollen.“ Es brauche ein Modell, mit dem die digitalen Besitzverhältnisse solidarisch umgestaltet werden können, gemeinwohlorientierte Alternativen zu rein profitorientierten Plattformen.

Die Lösung sieht Scholz in sogenannten Plattform-Genossenschaften. Diese zeichnen sich durch vier Grundprinzipien aus:

  • Kollektive Eigentümerschaft: Nutzer und Beschäftigte sind gleichzeitig Eigentümer
  • Demokratische Organisation: Nutzer und Beschäftigte verwalten die Plattform nach dem Prinzip „eine Person, eine Stimme“ selbst
  • Co-Design der Plattform: Nutzer und Beschäftigte werden in Design und Erstellung der Plattform einbezogen, damit die Software ihren tatsächlichen Bedürfnissen entspricht
  • Open-Source

Diese Art von digitaler Kooperative, das machte Scholz klar, sei kein „Hirngespinst“, etwas, das in ferner Zukunft mal Realität werden könne – es sei schon längst Realität. Weltweit gäbe es zahlreiche Beispiele für Plattform-Kooperatismus, ob in Italien (Bologna) oder den USA (San Francisco). Damit die Idee weiter wachsen könne, so Scholz, bräuchte es allerdings noch mehr Unterstützung, auch durch politische Institutionen, sowie finanzielle Förderung. Und: „Wie groß und wie bedeutsam das Ganze sein wird, das hängt von uns allen ab“.

Mehr Regulierung und Förderung

Andrea Nahles unterstützt das von Trebor Scholz vorgeschlagene Modell. Genossenschaften seien schließlich etwas, „das die SPD seit ihrer Gründung begleitet“. Sie könne sich vorstellen, dass Plattform-Kooperativen insbesondere auf lokaler Ebene gut funktionieren könnten. Die digitale Entwicklung der letzten Jahre macht Nahles Sorgen: „Der Unterschied zwischen dem Internet heute und dem vor zehn Jahren ist, das sich das Internet heute zentralisiert hat.“ Einige wenige Unternehmen würden den Markt beherrschen, „von den unendlichen Weiten des Cyberspace ist nicht mehr viel übrig“. Es ginge immer nur um Daten: Diese seien der Rohstoff, Informationen die Ware Nummer eins. Mit ihrem „Daten für alle“-Gesetz will Nahles Internetriesen wie Google oder Facebook Grenzen aufzeigen und sie unter bestimmten Voraussetzungen zur Herausgabe ihrer Daten zwingen.

Die Sharing Economy sieht Nahles, wie Scholz, kritisch. Die bei digitalen Plattformen wie Uber beschäftigten Menschen würden schlicht Erwerbsarbeit leisten – trotzdem hätten sie oft keinerlei Sicherheit, keine Rechte. „Bestehende Regeln“, so Nahles, „werden zum Schaden der Gesellschaft unterlaufen“. Nahles findet deshalb, die Politik müsse mehr regulieren und fördern. In der digitalen Wirtschaft brauche es mehr Wettbewerb und weniger Zentralisierung.

Kein zweites Silicon Valley

Nach den Impulsvorträgen von Trebor Scholz und Andrea Nahles hatten die anwesenden Besucher das Wort. Viele, die sich tatsächlich zu Wort meldeten, arbeiten selbst im Bereich der digitalen Wirtschaft. Sie unterstützten Scholz‘ Idee, waren aber oft skeptisch, wie realistisch diese ist. Scholz warnte vor Pessimismus, schließlich gäbe es schon konkrete Beispiele für digitale Plattform-Genossenschaften: „Menschen, die Narrative schreiben, können Realität ins Leben rufen“. So wie Felix Weth, der mit seinem Unternehmen Fairmondo Amazon Konkurrenz machen will. „Es ist nicht leicht, so eine Plattform-Genossenschaft aufzubauen“, sagte er. Oft fehle es an Kapital und Förderung. Nahles stimmte ihm zu: Es brauche auch Beratungsangebote. Was die finanzielle Förderung betrifft, so sei die SPD bereit, sich für einen entsprechenden Fond einzusetzen – Geld genug sei da. Trebor Scholz hatte noch eine Bitte an Politik und Wirtschaft: „Alle versuchen, Silicon Valley zu imitieren. Das ist ein großer Fehler, bitte macht das nicht. Ihr habt die europäischen Werte und die sollten sich auch in eurem Wirtschaftsmodell spiegeln.“

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