Ein bisschen Deutsch, ein bisschen Englisch, schon klappt es mit der Verständigung. Die Sitzgelegenheiten reichen nicht aus, deshalb haben die zahlreichen Zuhörer es sich auf dem Fußboden bequem gemacht. Sie hören von Andri Snaer Magnason wie es war, als man in Island - wo man schon immer an Hexen und Elfen geglaubt habe - plötzlich noch mehr an Banken glaubte. Dabei existierten die gar nicht, sagt Magnason. Er hat erlebt wie Island bankrott ging und wie harte Sparmaßnahmen und der blinde Glaube an Aluminiumkonzerne die Lage verschärfte. Alles sollte getan werden für das Wirtschaftswachstum, das man so dringend generieren wollte. Und sei es auf Kosten von Mensch und Umwelt, die darunter litten.
Wenn die Realität die Science-Fiction überholt
Die Realität sei plötzlich zur Science-Fiction verkommen, sagt Magnason. Also hat er, der bis dahin Kinderbücher und Science-Fiction geschrieben hat, sich der Realität zugewandt. Dabei ist
"Traumland. Was bleibt, wenn alles verkauft ist", herausgekommen. "Empfehlenswert" sei die Lektüre, sagt Andrea Nahles. Aber nicht angenehm. Das sagt sie auch. "Am Ende des Buches stehen die
Politiker wie begossene Pudel da. "Die Germanistin Nahles hat das Buch nachdenklich gemacht. Es zeige auf, dass Politiker Angst haben, nicht das Richtige für die Zukunft zu tun. Man sei in
Deutschland nicht davor gefeit, die gleichen Fehler wie Island zu machen.
"Am besten hat mir die Analyse der Sprache gefallen", sagt Nahles. Credit-Default-Swaps, Bad Banks. Oder Finanzprodukte, von denen ganz selbstverständlich gesprochen wird, dabei seien sie
gar keine Produkte im eigentlichen Sinn. "Entlarvend" fand die Generalsekretärin diese bittere Lektüreerkenntnis. "Wir übernehmen manipulierte, unkonkrete Sprache ohne sie zu hinterfragen", sagt
sie. Allerdings: "Man kommt auf die falschen Antworten, wenn man unpräzise Begriffe benutzt."
Wenn Menschen das Vertrauen verlieren
Die Wirtschaftskrise und ihre Begriffe, die plötzlich ganz selbstverständlich benutzt wurden, hätten dafür gesorgt, dass Politiker nicht mehr dieselbe Sprache wie normale Menschen gesprochen haben. Die Menschen hätten das Vertrauen in die Politik verloren. Aber: "Wir sind immer noch mehr die Verbündeten der Menschen als die Banker", sagt die Politikerin Nahles. Doch noch ist die Gefahr nicht gebannt, die Situation ist angespannt und es könnte die Europäische Union hart treffen. Jetzt hält Nahles es für angebracht die Systemfrage zu stellen. "Das kapitalistische System wie wir es jetzt haben funktioniert nicht zum Wohle der Menschen", sagt sie. Und plötzlich kommt Bewegung ins Publikum, Klatschen wird laut.
Magnason beschreibt, wie es in Island weiterging. Was passierte, als die Menschen nicht länger glauben wollten, dass die Maßnahmen der Regierung "alternativlos" seien. Er sagt das Wort auf Deutsch, der Rest seiner Antwort ist Englisch. Die Künstler haben eine Alternative gefunden, sie haben Diskussionen angestoßen, haben die Graswurzeln belebt. "Künstler haben eine andere Haltung der Arbeitslosigkeit gegenüber. Sie sind daran gewöhnt, in der Krise zu leben."
Wenn Alternativen gefunden werden
Andrea Nahles hat etwas gelernt, aus der Wirtschafskrise, aus dem Buch. Niemand erwartet fertige Antworten von Politikern. "Wir müssen die Menschen mit einbeziehen", sagt sie. "Gemeinsam fragen und gemeinsam Antworten finden." Das klingt einfach. Und logisch. Es wird schwierig sein sich daran zu halten. "Meine Sorge ist, dass die Wut sich gegen die Demokratie richtet und am Ende kein besseres System dabei herauskommt." Magnason formuliert es so: "Alle sehen, dass etwas schief läuft, aber niemand hat die Lösung." Er möchte, dass ein anderes wirtschaftliches System gefunden wird.
Das scheint Andrea Nahles auch zu hoffen. Der Finanzmarkt, auf den derzeit alles starrt wie das Kaninchen auf die Schlange, "der ist für mich eine wahnsinnig aufgeblähte Männerphantasie", sagt sie. Sie will etwas verändern: "Wir müssen uns die Macht über unser Leben zurückholen". Noch ist der Ausgang der Finanzmarktkrise ungewiss. Sicher ist nur, dass sie nicht überstanden ist. Und dass nicht alles bleiben kann wie es ist.
Goetz Schleser
ist Redakteurin, die für den „vorwärts“ über Kultur berichtet.