Helmut Schmidt wird, wie kaum einem anderen Deutschen der Gegenwart, eine Verehrung zuteil, die mit seinem steigenden Lebensalter weiter wächst. In einer Zeit in der das politische Tagesgeschäft immer mehr an Ansehen verliert, gilt der "elder statesman" als die moralische Instanz schlechthin. Theo Sommer, den mit dem Altkanzler nach eigener Aussage eine "Freundschaft auf kritische Distanz" verbindet, präsentiert in seiner Biographie "Unser Schmidt" ein lebendiges Bild des Publizisten Helmut Schmidt. Das Buch nimmt den Leser mit hinter die Kulissen des Zeitungsbetriebes.
Viele Journalisten gingen in die Politik, nur wenige Politiker in den Journalismus
Der frühere Zeit-Herausgeber Gerd Bucerius war es, der Schmidt 1983 für seine Zeitung gewann. Bucerius ahnte bereits zu Beginn des Jahres 1982, dass die Kanzlerschaft von Helmut Schmidt auf fragilem Grund fußte. Als Schmidt am 1. Oktober 1982 per konstruktivem Misstrauensvotum abgewählt wurde, dauerte es nur acht Tage bis Bucerius zu Schmidts Hamburger Wohnung fuhr.
Beide Seiten hatten damals Bedenken. Bucerius wollte nicht, dass der Anschein entstehe, die Zeit entwickle sich zum Sprachrohr der SPD. Helmut Schmidt rang mit der Frage ob er erneut für die Spitzenkandidatur der Sozialdemokratie zur Verfügung stehen wollte, die ihm seine Partei angetragen hatte. Nach den Bundestagswahlen schließlich entschied sich Schmidt für die Zeit. Rückblickend resümiert er: "Ich bin Bucerius sehr dankbar, dass er diese Idee mit mir hatte."
Theo Sommer beschreibt den Zeit-Mitherausgeber Helmut Schmidt der sich - ganz seiner Arbeitsweise in der Politik entsprechend - ein enormes Arbeitspensum zumutete. Die vielen kleine Anekdoten in dem Buch lassen erahnen, wie sich die Zusammenarbeit mit Helmut Schmidt in der Hamburger Zeit-Redaktion, in der er über all die Jahre nur ein kleines Arbeitszimmer für sich beanspruchte, gestaltete. "Ich schätze jeden Widerspruch und jede begründete Kritik", so Schmidt. Beflissene Zustimmung hingegen langweile ihn.
Er tat seine Pflicht und er tat sie mit Anstand
Im zweiten Teil des Buches bringt Theo Sommer dem Leser den Staatsmann Helmut Schmidt nahe. Dabei scheut sich der Autor nicht davor zurück, die Frage zu stellen, ob Helmut Schmidt ein großer Kanzler war. "Seine herausragende Leistung bestand darin, dass er die westdeutschen in die Normalität einübte, sie an das Unspektakuläre gewöhnte und ihnen Sinn für das Mögliche gab", resümiert Sommer die Kanzlerschaft.
Schmidts Amtzeit war besonders davon geprägt, das Erreichte zu bewahren. Das werde allein schon an den Titeln seiner Regierungserklärungen deutlich: "Konzentration und Kontinuität" (1974), "Das Erreichte sichern" (1976) sowie "Mut zur Zukunft" (1980), stellt der Autor fest. "Er war nicht autoritär wie Adenauer. Er stürmte nicht heilsgewiss voran wie Brandt. Er setzte auf die Vernunft, der er mühsam eine Klientel zu verschaffen suchte."
Stadtionen in einem bewegtem Leben
Das Buch führt beide Wege Helmut Schmidts, den des Politikers und den des Publizisten, zusammen. Im abschließenden Kapitel "Miles to go before I Sleep" wird Schmidt in einem Interview zu einzelnen Stationen seines Lebens befragt.
Helmut Schmidt hat in den letzten 27 Jahren mehr als 270 Artikel für die Zeit verfasst und mehr als 30 Bücher geschrieben. Er reiste, hielt Vorträge und gab Interviews. Und Schmidt betont, zur Freude seiner Leser,: "Es treibt mich in die Debatte einzugreifen um zu sagen, was nach meiner Meinung geschehen müsste."
Theo Sommer: "Unser Schmidt. Der Staatsmann und der Publizist", Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2010, 22 Euro, ISBN 978-3-455-50176-6