Parteileben

„Ich rat Euch ES-PE-DE zu wählen“

von Daniela Münkel · 16. Oktober 2007
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"Von meiner politischen Ansicht, von meinen Überzeugungen her bin ich ein Sozialdemokrat", so Günter Grass vor wenigen Wochen in einem Interview anlässlich seines 80. Geburtstages. Für diese Überzeugung hat sich Grass zeitlebens aktiv eingesetzt, gestritten und getrommelt. Als Martin Walser im Wahlkampf 1961 für ein Buch Schriftstellerkollegen um sich versammelte, die der Frage "Brauchen wir eine neue Regierung?" nachgingen, war Günter Grass bereits dabei.

Seine Antwort war klar: "Wählt SPD!" Die Zeit schien günstig, den greisen Kanzler Adenauer abzulösen und den "Muff" der fünfziger Jahre hinter sich zulassen. Die SPD hatte in Godesberg alte programmatische Zöpfe abgeschnitten und sich auf den Weg hin zu einer modernen Volkspartei gemacht. Der neue Kanzlerkandidat war jung, charismatisch, intellektuell und hatte politische Visionen. Willy Brandt und Günter Grass - das war die kongeniale Verbindung von "Geist und Macht".

Zwei Männer trafen aufeinander, die gemeinsame politische Visionen verfolgten - eine demokratischere und sozialere Bundesrepublik und eine Versöhnungs- und Entspannungspolitik mit dem Osten - die beide Frauen und Rotwein liebten und die mediale Selbstinszenierung professionell beherrschten. Im Bundestagswahlkampf 1965 ging das Engagement von Günter Grass über das Schreiben von Buchbeiträgen hinaus. Er initiierte zusammen mit Hans Werner Richter und Klaus Wagenbach das "Wahlkontor deutscher Schriftsteller". Hier kamen Angehörige der jüngeren Generation deutscher Schriftsteller und Schriftstellerinnen zusammen, die die SPD unterstützen wollten.

"Kampa" der Schrifsteller

Durch Hilfe bei der Abfassung von Wahlreden und der Erfindung von "Wahlslogans" wie "Der Frau treu bleiben - die Partei wechseln: SPD" oder "Warum denn gleich auswandern: Wählen Sie doch erstmal SPD", sollte die Partei attraktiver werden. Wenn auch die vorgeschlagenen Slogans bei den Parteiverantwortlichen nicht auf die gewünschte Gegenliebe stießen, so hat doch das "Wahlkontor" die Sympathie unter Schriftstellern und Intellektuellen für die SPD gesteigert.

1965 machte Grass erstmals selbst Wahlkampf, reiste durch die Republik und rief zur Wahl von Willy Brandt und der SPD auf. Wie bis zum heutigen Tag nicht unkritisch gegenüber manchen Positionen der Partei, setzte er eigene Akzente in seinen Reden. Dies betraf damals vor allem den Paragrafen 218 und die Frage der Oder-Neiße Grenze.

Als 1966 die Große Koalition kam, die Grass einmal als "miese Ehe" beschimpft hat, gehörte er zu deren schärfsten Kritikern. Dennoch organisierte er bereits im Dezember 1967 ein Treffen im kleinen Kreis mit Kurt Sontheimer, Eberhard Jäckel, Günter Gaus und Erdmann Linde, um die "Sozialdemokratische Wählerinitiative" (SWI) ins Leben zu rufen.

Wählerinitiative: fett, fröhlich, positiv, kalorienreich

Im März 1969 wurde die SWI der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Resonanz war enorm. Der "Wählerinitiative" schlossen sich auch Prominente von Peter Frankenfeld über Horst Tappert bis hin zu Inge Meysel an. Auf Wahlveranstaltungen, in einer eigenen Zeitschrift und in Testimonialkampagnen riefen sie zur Wahl der SPD und damit zu einem Politik- und Regierungswechsel auf. Neben der politischen Botschaft wurde vermittelt, dass Politik auch Spaß machen sollte. So kommentierte Grass die Farbwahl der SPD im Wahlkampf 1969: "wir wollen in Orange werben: fett, fröhlich, positiv, kalorienreich".

Nach dem ersehnten "Machtwechsel" 1969 war die Euphorie groß, und Günter Grass hätte sich sogar vorstellen können, ein politisches Amt zu übernehmen. Die Zeit dafür war damals noch nicht reif. Drei Jahre später, als Brandt sich ein politisches Amt für Grass hätte vorstellen können - war es für den Schriftsteller kein Thema mehr.

Bei der "Willy Wahl" im Jahr 1972 erlebte die SWI ihren Höhepunkt: Sie zählte cirka 350 lokale Initiativen, in denen sich zeitweise bis zu 70.000 Personen für die SPD und die Wiederwahl Willy Brandts zum Bundeskanzler engagierten. All das war maßgeblich der Verdienst von Günter Grass und seinen Mitstreitern.

Nach dem Höhepunkt folgte jedoch bald die Ernüchterung. Die Initiative existierte zwar bis 1993 weiter, kochte aber mehr oder weniger auf Sparflamme. Günter Grass setzte sich weiter für die SPD ein, stand im ständigen Austausch mit Willy Brandt und anderen Spitzengenossen und kommentierte deren Politik nicht selten kritisch.

Trotz Austritt kein Bruch

Es war eben nicht immer eine harmonische Beziehung zwischen Güter Grass und der SPD, im Jahr 1992 als die SPD dem Asylkompromiss zustimmte, trat er aus der Partei aus. Aber bereits zwei Jahre später unterstützte er Wolfgang Thierse, der in seinem Wahlkreis Berlin-Mitte gegen den einstigen DDR-Schriftsteller Stefan Heym, der für die PDS kandidierte, antrat.

Mit diesem Einsatz setzte Grass auch ein öffentliches Zeichen dafür, dass sein Parteiaustritt "keinen Bruch mit der Sozialdemokratie" bedeutete. Für Gerhard Schröder, den er einmal ein "politisches Naturtalent" genannt hat und mit dem ihm seit dessen Tagen als niedersächsischer Ministerpräsident eine Männerfreundschaft verbindet, hat Günter Grass sein ganzes Gewicht - jetzt als Literaturnobelpreisträger - in die Waagschale geworfen.

Erinnerungen an die Zeiten der Wählerinitiativen für Willy Brandt wurden wach. 1998, 2002 und 2005 setzte er sich erst für den Regierungswechsel und dann für den Macherhalt der rot-grünen Bundesregierung ein.

Im Wahlkampf des Jahres 2005, als die Stimmung im Land und in den Medien deutlich negativ war und kaum noch jemand einen Pfifferling für rot-grün gegeben hätte, lief nicht nur der Kanzler noch mal zur Höchstform auf, sondern auch Günter Grass. Er organisierte eine Unterstützer-Initiative mit Schriftstellerkollegen. Mit seiner Aktion löste er eine heftige Kontroverse unter jüngeren deutschen Schriftstellern bzw. Schriftstellerinnen über das politische Engagement von Literaten aus - eine große Medienaufmerksamkeit war garantiert, was wiederum der SPD zugute kam.

Aus dem Unterstützerkreis ist ein jährliches "Lübecker Literaturtreffen" hervorgegangen, bei dem sich die Teilnehmer aus unveröffentlichten Manuskripten vorlesen und diese zur Diskussion stellen. Das Ganze erinnert etwas an die "Gruppe 47", der Günter Grass ja einst selber als junger Schriftsteller angehörte.

Jüngst hat Günter Grass angekündigt, dass er für und mit Michael Naumann, der als Kandidat für den Posten des Erstem Bürgermeisters von Hamburg antritt, Wahlkampf machen wird. Und so trommelt er weiter für die SPD, kritisch, aber solidarisch…………………



Daniela Münkel lehrt derzeit als Gastdozentin am Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Daniela Münkel lehrt derzeit als Gastdozentin am Historischen Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg.

Autor*in
Daniela Münkel

ist Leiterin der Forschung beim Stasi-Unterlagen-Archiv und Mitglied des SPD-Geschichtsforums.

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