Hubertus Heil über die Bundestagswahl: „Drei Dinge haben die Kampagne versaut“
Kaum ein Tag vergeht seit der Bundestagswahl, ohne dass sich jemand zu Wort meldet mit Ideen zur Erneuerung der SPD. Die Sozialdemokraten wissen: Um aus dem historischen Tief herauszukommen, muss sich ihre Partei dringend verändern. Auch Hubertus Heil, dem scheidenden SPD-Generalsekretär, ist das klar. Am Donnerstag steht er in Berlin bei der Veranstaltung „Demokratie und Parteien“ der Friedrich-Ebert-Stiftung auf einer Bühne und blickt zurück auf die Wahl.
Hubertus Heil: Probleme bei der „K-Frage“
Als Antwort auf die Frage nach dem Debakel bei der Bundestagswahl könne es „keine monokausale Herleitung“ geben, stellt Heil heraus. „Das wäre nicht nur unterkomplex, das wäre auch der Weg in den Untergang.“ Zugleich zeigt sich der SPD-Generalsekretär selbstkritisch: „Ich muss feststellen, dass wir die Kampagne langfristig nicht gut vorbereitet haben.“ Insgesamt habe es die SPD nicht geschafft, eine Politik „aus einem Guss, sprachlich verständlich und auf der Höhe der Zeit“ zu bewerben.
„Drei Dinge haben die Kampagne versaut“, sagt Heil: So sei die Nominierung von Martin Schulz als Kanzlerkandidat „offensichtlich schlecht vorbereitet“ gewesen. Mit dieser Aussage stellt sich Hubertus Heil gegen den ehemaligen Parteichef Sigmar Gabriel, der diese Woche Kritik in Sachen „K-Frage“ per Zeitungsinterview zurückgewiesen hat. Auch Schulz‘ „Wahlkampfpause“ aus Rücksicht auf die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen sei ein Fehler gewesen, sagt Heil. Im Endspurt des Wahlkampfs habe es die SPD außerdem versäumt, sich auf die wichtigen Themen zu konzentrieren. „Wahrgenommen wurden wir als eine Partei, die aus Panik jede Sau durchs Dorf gejagt hat.“
Neue Zusammenarbeit zwischen Fraktion und Parteizentrale
Das Problem mit der Wahrnehmung geht laut Heil noch weiter. Die SPD habe sich selbst während der vergangenen Jahre als erfolgreiche Partei gesehen. „Wir waren stolz“, erinnert sich der Generalsekretär an sozialdemokratische Projekte in der großen Koalition wie etwa den Mindestlohn. Diese Selbstwahrnehmung sei jedoch von der Bevölkerung nicht geteilt worden: Die Mehrheit der Deutschen traue der SPD schlicht keine sozial gerechte Politik mehr zu – „Zutrauensverlust“ nennt Heil das.
„Die SPD muss sich in der Opposition im Bundestag neu aufstellen“, fordert der Generalsekretär. Es brauche eine „neue Koordinierung“ zwischen der Bundestagsfraktion, dem Willy-Brandt-Haus und der SPD in den Ländern. Insgesamt müsse sich die SPD organisatorisch reformieren und schlagkräftiger werden – nicht nur mit neuen Beteiligungsformen, wie sie etwa von der Initiative „SPD++“ vorgeschlagen werden, sondern auch in den traditionellen Strukturen wie dem Ortsverein.
Programmatische Fragen klären: „Dienst an der Gesellschaft“
Die SPD sollte nach Heils Auffassung auch darüber nachdenken, wie sich Demokratie und sozialer Zusammenhalt in der Gesellschaft bewahren lassen – „das eigene Staatsverständnis klären“, wie Heil sagt. Auf der einen Seite will der SPD-Politiker, dass staatliches Handeln bei den Bürgern wieder als „partnerschaftliches Handeln“ gilt. Auf der anderen Seite müsse es auch „neue Freiräume für persönliche Entfaltung“ geben. Außerdem dürfe die SPD den technologischen Fortschritt nicht aus den Augen verlieren. „Diese Entwicklung muss gesteuert werden“, betont Heil mit Blick auf die Umbrüche in der digitalen Arbeitswelt.
Die Partei sollte gemeinsam „programmatische Fragen klären, die wir lange nicht geklärt haben“, fordert Heil. In Zeiten des erstarkenden Nationalismus müsse die SPD über ihre konkrete Vorstellung von der Zukunft Europas reden – und dabei auch die Themen Flucht und Migration grundlegend debattieren. Innerhalb der Partei gebe es da entgegengesetzte Positionen wie im Rest der Bevölkerung auch – zwischen „Refugees Welcome“ und Sorgen der Mitglieder. Solch streitbare Themen sollte die SPD dringend breit diskutieren, fordert Heil. Nicht nur, um wichtigen Fragen parteiintern zu klären – sondern auch als „Dienst an der Gesellschaft“.
ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.