Parteileben

Helmut Schmidt: Wärme und Anarchie

Helmut Schmidt wurde geliebt – vor allem von jungen Menschen. Dabei bot der Altkanzler ihnen weder Orientierung, noch blickten sie zu ihm auf. Was war er dann für sie?
von · 11. November 2015

Ein Sommertag 2014: Zahlreiche deutsche und französische Journalisten haben sich im ZDF-Hauptstadtstudio versammelt, um der Verleihung des deutsch-französischen Journalistenpreises beizuwohnen. „Ob der Schmidt wohl kommt?“, sagt eine aufgeregte Frau zu ihrem Sitznachbarn. Er: „Hoffentlich!“ Helmut Schmidt und der frühere französische Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing sollen den Medienpreis für ihre Verdienste um die deutsch-französischen und die europäischen Beziehungen erhalten.

Giscard d’Estaing sitzt bereits vorne, runzelig und zerbrechlich, aber der Mann, auf den alle warten, ist Schmidt. Er wird nicht kommen, verkündet die Moderatorin. Im Saal enttäuschtes Murmeln, dann kollektive Verzückung, als ein Video mit Aufnahmen von den beiden Politikern gezeigt wird. Schmidt im Rollstuhl, Giscard d’Estaing daneben. Hach! „Auf den Schmidt hatte ich mich so gefreut“, seufzt eine zirca 30-jährige Bekannte. Andere junge Menschen nicken zustimmend. Ach ja, der Schmidt. Bei jungen Leuten so beliebt wie wohl kein anderer deutscher Politiker.

Knappe Antworten auf elaborierte Fragen

Warum eigentlich? Denn mal ehrlich, hätte ich schon gelebt, als Helmut Schmidt Kanzler war – ich hätte diesen Politiker Schmidt wohl kaum unterstützt. Die revolutionäre Studentenbewegung war für ihn nicht mehr als eine „jugendliche Massenpsychose“, Atomkraft fand er nicht verkehrt und mit einem zunehmend multikulturellen Deutschland konnte er auch nicht viel anfangen. War halt schon eher konservativ, der Mann. Meine (zu) späte Geburt bewahrte meine Generation und mich aber gnädigerweise davor, uns mit Schmidt als aktivem Politiker auseinandersetzen zu müssen. Wir sind mit ihm als Elder statesman aufgewachsen, stets qualmend und hanseatisch-schnodderig den Zustand der Welt analysierend. Schmidt wurde nicht altersmilde, aber wir wurden es für ihn.

Wie viele andere liebte ich die Reihe „Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“ und erfreute mich an Antworten wie: „Ich habe mal versucht, auf Pfeife umzustellen, aber das ist mir nicht bekommen, weil ich als Zigarettenraucher auch mit Pfeife immer inhaliert habe.“ Oder auf die Frage, ob ihn kleine Kinder manchmal nerven: „Ich bin schwerhörig – mich stört das Geschrei nicht.“ Oder: „Opportunismus ist zum Kotzen, aber er ist kein Monopol der Politiker.“ Ich liebte all die knappen Antworten Schmidts („Ja“, „Nee“, „Möglicherweise“) auf die elaborierten Fragen des „Zeit“-Chefredakteurs Giovanni di Lorenzo – während ich innerlich schauderte angesichts der Vorstellung, ich müsste mich als Journalistin mit solchen Ein-Wort-Antworten herumschlagen.

Schreiben war Schmidts Stärke nicht

Amüsiert las ich meinen Eltern Zitate aus den Interviews vor, was meine Mutter dazu bewog, mir Schmidts Buch „Außer Dienst: Eine Bilanz“ zu schenken. Ganz ehrlich: Schreiben war Schmidts Stärke nicht. So trocken, so sehr darauf ausgelegt, simple Informationen zu vermitteln. Giovanni die Lorenzo schreibt in seinem Nachruf auf Helmut Schmidt, der ja „Zeit“-Herausgeber war: „Und obwohl er ein gutes journalistisches Gespür und einen untrüglichen Sinn für Pointen in unserem Metier hatte, vollständig warm ist er damit nie geworden. Dazu war er zu sehr in der Vorstellung verhaftet, dass man sich durch einen Artikel zu einem wichtigen Thema ‚durcharbeiten‘ müsse. Kleine Hilfestellungen, etwa durch brillante Formulierungen oder szenische Elemente, fanden nur im Ausnahmefall bei ihm Gnade.“

Schmidt funktionierte nicht so gut im Geschriebenen, sondern am besten im direkten Austausch mit anderen Menschen. Da entstanden twitterfreundliche Aussagen, bei denen man stets den Eindruck hatte: Dem Schmidt ist es wirklich egal, wem er damit jetzt auf die Füße tritt. Da hatte einer Haltung! Und vielleicht ist es genau das, was Schmidt bei jungen Leuten so beliebt machte: Seine Haltung. Nicht immer war diese Haltung die richtige, nicht immer fand man persönlich sie gut. Aber sie war Schmidts Haltung. Man wartete nicht unbedingt darauf, dass Schmidt sich zu einem aktuellen Thema äußerte – freute sich aber dennoch, wenn er es tat. Schmidt sprach nur, wenn er auch was zu sagen hatte, das war bewundernswert.

Mit Zigaretten, ohne grüne Smoothies

Für junge Menschen war der Altkanzler keine Figur, die Orientierung bot oder zu der man aufblickte. Was war er dann? Er war ein cooler Hund. Jemand, der ein wärmendes Gefühl der Nostalgie und ein kleines bisschen Anarchie verbreitete und meiner selbstoptimierten, gesundheitsbewussten Generation zeigte: Auch mit Zigaretten und ohne grüne Smoothies kann man sehr alt werden. Läuft!

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