Es war Station Nummer sechs. Am Mittwoch hat Peer Steinbrück im Rahmen seiner Länderreise Berlin besucht. Der SPD-Kanzlerkandidat lernte dabei nicht nur die Gründerszene der Hauptstadt kennen, sondern bekam auch Anregungen für den Wahlkampf.
Es ist eine gute Stunde vergangen, als der junge Mann die Einladung ausspricht. Er habe, so sagt er, gelesen, dass Peer Steinbrück interessierte Bürger zuhause besuche. Gerne würde er den SPD-Kanzlerkandidaten auch in seiner Kreuzberger WG bewirten. Die liege schließlich gerade mal 400 Meter vom Willy-Brandt-Haus entfernt. „Ich sorge auch für kühles Bier und Kartoffelsalat, wenn Sie zusagen.“ Steinbrück überlegt kurz, grinst und will dann wissen: „Wie hoch ist das Durchschnittsalter Ihrer WG?“ „21.“ „Dann komme ich.“
Es ist Mittwochabend kurz nach halb acht als sich diese Szene im Berliner Tempodrom ereignet. Auf seiner Reise durch die Bundesländer ist Peer Steinbrück bei seiner sechsten Station in der Hauptstadt angelangt. „Klartext“ lautet der Titel der Reihe und er ist Programm. Der Kanzlerkandidat steht in der Mitte, rund 600 Zuhörer sitzen und stehen im Kreis um ihn herum. Obwohl das Wort Zuhörer es eigentlich nicht trifft. Es soll nämlich nicht darum gehen, dass ein Politiker lange Reden hält, sondern dass er die Fragen der Bürger beantwortet. „Ich will sehen, was die Menschen bewegt“, hat Steinbrück zuvor gesagt.
Zwei Regeln des Kandidaten
Zu Beginn des Abends hat der Kanzlerkandidat deshalb zwei Regeln aufgestellt. „Erstens: Es gibt keine dummen Fragen, allenfalls dumme Antworten. Zweitens: Wenn ich eine Frage nicht beantworten kann, gebe ich das zu.“ Die Antwort werde dann später fundiert nachgeliefert. Und so geht das Frage-Antwort-Spiel munter zwischen Kandidat und Publikum hin und her. Immer drei Fragen, dann drei Antworten. Nach zwei Stunden werden es weit mehr als 30 sein.
Die Themen sind dabei weit gefasst. Europa, Parteispenden, Bürgerversicherung, Künstlersozialkasse, Musikschulen, Leistungsschutzrecht, Energiewende – alles ist dabei. Peer Steinbrück bleibt kaum eine Antwort schuldig. Allein bei einer Detailfrage zur Künstlersozialkasse kommt er auf seine zweite Regel zurück. Und Steinbrück findet klare Worte, ob es um Waffenlieferungen an Syrien geht („Ich lehne sie ab, weil die Lage viel zu unübersichtlich ist.“) oder um die doppelte Staatsbürgerschaft („Ich setze mich dafür ein, den unsäglichen Optionszwang abzuschaffen.“).
Berlin, eine „Drehscheibe für Startups“
Und auch wenn es um Berlin geht, hält sich der Kandidat nicht zurück. „Wir sollten größtes Interesse daran haben, das Image der Hauptstadt aufzupolieren“, fordert Steinbrück. Allzu oft überstrahlten die Probleme um den Flughafen oder der Streit über den Länderfinanzausgleich das Potenzial Berlins, dieser „Drehscheibe für Startups“ wie Steinbrück die Stadt nennt.
Einige davon hat er vor seinem Auftritt im Tempodrom selbst besucht. Seit dem Morgen ist er durch Berlin getourt, hat in einem Gründerzentrum gefrühstückt, im Deutschen Theater eine Probe des „Jungen Deutschen Theaters“ besucht und mit dem Europa-Präsidenten des Musik-Labels „Universal“ diskutiert. Am Nachmittag war er dann mit der örtlichen Bundestagskandidatin Cansel Kiziltepe in Kreuzberg unterwegs.
Wahlkampfslogan vom Radio-Moderator
Um kurz nach vier sitzt er dort ganz in der Nähe des ehemaligen Todesstreifens im Hinterhof eines alten Industriekomplexes in der fünften Etage. „Studio 1“ steht an der Tür, über der ein Schild mit der Aufschrift „Sendung“ rot leuchtet. Der Radiosender FluxFM hat Steinbrück nach einer kurzen Besichtigung der Redaktion zum Interview gebeten. Moderator Winson erfährt dabei, dass Steinbrück sich lieber CDs kauft als Musik aus dem Internet herunterzuladen („Ich brauche etwas Haptisches.“) und warum er im September Kanzler wird („Weil ich den Laden zusammenhalten kann.“)
Das Gespräch scheint beiden Spaß zu machen. Und so erfüllt der Moderator zum Schluss nicht nur Steinbrücks Musikwunsch „Telegraph Road“ von den Dire Straits, sondern gibt ihm auch noch einen Wahlkampfslogan mit auf den Weg. „Hart aber Peer“, schlägt Winson vor. Da allerdings ist Steinbrück dann doch skeptisch. „Da kriegen Sie womöglich Probleme mit Herrn Plasberg."
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.