Parteileben

„Hannelore, Du bist unsere Kraft!“

von Uwe Knüpfer · 1. April 2012

Formal betrachtet wird am 13. Mai in Nordrhein-Westfalen ein neuer Landtag gewählt. Doch eigentlich geht es um Deutschland, ja um Europa – und um die Frage, wer im Mittelpunkt aller Politik zu stehen hat: der Finanzmarkt oder, in Hannelore Krafts stets schnörkelloser Sprache: „der Mensch“.

Landesparteitag. Eine nüchterne Messehalle am Rande Düsseldorfs, spärlich dekoriert. Die NRWSPD stellt ihre Landesliste auf, um in einen, so wird Hannelore Kraft es beschreiben, „Turbowahlkampf“ zu starten. Noch rund 40 Tage, und die Republik wird wissen, ob Schwarzgelb noch eine Zukunft hat. Am 13. Mai wird entschieden, welche Richtung Deutschland nimmt.

Fast jeder vierte Deutsche lebt in NRW. An Rhein und Ruhr kreuzen sich Europas wichtigste Nord-Süd- und Ost-West-Routen. NRW sei, so sagte es Sigmar Gabriel, „das wirtschaftliche und soziale Herz Deutschlands“ - und das müsse es, hübsch dialektisch formuliert, auch „wieder bleiben“.

In den 1960er Jahren begann hier die sozialliberale Ära, eine Generation später die rotgrüne. 2005 läutete Jürgen Rüttgers’ Wahlsieg das Ende der Regierung Schröder/Fischer ein. Am Abend des 13. Mai 2012 wird klar sein, ob mit Rüttgers’ damaligem Sieg eine schwarzgelbe Epoche begann – oder nur eine Episode: die „Rüttgers-Merkel-Zeit“. Von der es später heißen könnte, sie habe das letzte Aufbäumen der marktradikalen Kräfte markiert.

Die Delegierten in der Düsseldorfer Messehalle schienen sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein. Sie beschlossen Wahlprogramm und Landesliste ohne öffentliches Gezänk und große Debatten. Sie hörten Sigmar Gabriel und Hannelore Kraft sehr aufmerksam zu. Einstimmig kürten sie die Ministerpräsidentin zur Spitzenkandidatin. Mit 99,3 Prozent der abgegebnen Stimmen setzten sie sie auf Platz eins der Landesliste. Was Hannelore Kraft in ihrer typisch trockenen Art so kommentierte: „Das Schlimme an diesem Ergebnis ist, dass man das nicht mehr toppen kann.“

Gabriel läutete mit seiner Düsseldorfer Rede bereits den Bundestagswahlkampf ein. „Hier“ habe nach dem Wahldesaster von 2009 der Wiederaufstieg der SPD begonnen und „hier werden wir ihn fortsetzen“. Es gehe darum, Deutschland und Europa eine „andere Richtung“ zu geben, nämlich: „das Zeitalter des Marktradikalismus und des Neoliberalismus endlich zu beenden“.

Schweiz und Schlecker: Am Streit um das Steuerabkommen mit der Alpenrepublik und dem um die Zukunft der elftausend Angestellten der insolventen Drogeriemarktkette machte Gabriel deutlich, was er mit „Richtung“ meint. Trete das Abkommen wie von Schwarzgelb ausgehandelt in Kraft, würden deutschen Steuerfahndern die Hände gebunden. „Gegen ein bisschen Geld“ würden Straftaten „legitimiert“. Hier biete Schwarzgelb alle Kräfte auf, um denen beizustehen, „die in diesem Lande alles mitnehmen“, aber keine Steuern zahlen wollen: „asozialen Straftätern“. Gleichzeitig werde den Frauen, die für wenig Geld für Schlecker malocht haben, jede Hilfe verweigert: „Das zeigt, worum es bei denen geht.“

„Denen“: das meint: Merkel, Rösler, Röttgen.

Die SPD-geführten Länder, NRW voran, haben im Bundesrat das Inkrafttreten des Steuerabkommens mit der Schweiz blockiert. Das war „Eure Ministerpräsidentin“, rief Gabriel den Delegierten zu: „die Frau, die’s kann“. Die am 13. Mai antrete gegen „den Mann, der sich nicht traut.“

Norbert Röttgen also, der Spitzenkandidat der CDU - der zugleich Bundesumweltminister bleiben will. Hin- und Retour-Tickets würden in Berlin-Tegel inzwischen „Röttgen-Tickets“ genannt, spottete der SPD-Vorsitzende und fügte genüsslich hinzu: „Der Witz kommt übrigens aus der CDU.“

„Ich halte mir keinen Stuhl warm,“ grenzte sich Kraft von Röttgen unmissverständlich ab. Talkshow-Einlassungen darüber, was sie tun würde, sollte sie die Wahl verlieren, hatten in rheinischen Medien zuvor zu aufgeregten Spekulationen geführt, auch sie strebe womöglich nach Berlin. Kraft: „Mein Platz ist hier.“

„Wir schwurbeln nicht rum,“ beschrieb sie ihren Stil und die Politik ihrer rot-grünen Koalition. „Wir haben das gehalten, was wir versprochen haben. Wir haben schnell, präzise, geräuschlos und wirkungsvoll das Land vorangebracht.“ Rot-Grün habe „Land und Menschen über Rituale und Eitelkeiten“ gestellt: „Für uns steht der Mensch im Mittelpunkt.“

Und: „So muss es weitergehen.“

Bundesweites Aufsehen hatten zuvor Ruhrgebietsoberbürgermeister erregt, indem sie auf den Kontrast zwischen manchen luxussanierten ostdeutschen Städten und dem jammervollen Zustand vieler Bahnhöfe, Schulen und Straßen im Westen hinwiesen. Gabriel sah sich genötigt, die NRW-Genossen zu ermahnen, „keine Ost-West-Debatte“ vom Zaun zu brechen.

Hannelore Kraft stellte klar, es gehe nicht darum, ostdeutschen Städten und Ländern zugesagte Gelder wegzunehmen: „Der Soli bis 2019, der soll bleiben.“ Joachim Poss, der aus Gelsenkirchen stammende Haushaltsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, hatte in Interviews schon einen Weg gewiesen, klamme Städte zu entlasten: indem der Bund ihnen weitere Sozialkosten abnehmen könnte.

Aber: Kraft rechnete vor, wie Schwarzgelb – öffentlich das Gegenteil behauptend – in die Kassen der Kämmerer gegriffen hat. Und auch bei Infrastruktur- und Forschungsausgaben des Bundes werde Nordrhein-Westfalen krass benachteiligt. Zum Schaden nicht nur der 18 Millionen Menschen an Rhein, Ruhr und Lippe. Denn: „Das Herz der deutschen Wirtschaft schlägt in unserem Land“. Wenn dieses Herz aus dem Rhythmus gerate, weil es an Straßenbau- oder Forschungsmitteln fehle oder durch eine dilettantisch organisierte Energiewende, dann, machte sie deutlich, werde ganz Deutschland darunter leiden. „Leidenschaftlich“, versicherte sie ungewöhnlich heftig, werde sie dagegen ankämpfen, sie wiederholte: „Leidenschaftlich.“

Minutenlang spendeten die Delegierten Hannelore Kraft nach deren Rede Beifall, stehend. Mike Groschek, der aus Oberhausen stammende Generalsekretär der NRWSPD, ist ein unsentimentaler Mann, der auch schon mal aufbrausen kann. Jetzt fasste er den Applaus in ungewohnt bewegte Worte: „Hannelore, Du bist unsere Kraft!“

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Uwe Knüpfer

war bis 2012 Chefredakteur des vorwärts.

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