Hanau-Angehörige Ajla Kurtovic wählt für die SPD den Bundespräsidenten
Ajla Kurtović erinnert sich noch gut an den Morgen des 20. Februar 2020. Sie fährt zur Polizei. Ihre Eltern warten bereits. Dort erfährt sie, dass ihr Bruder Hamza tot ist. Ermordet von einem rechtsextremen Attentäter, wie acht andere Menschen mit Migrationsgeschichte am Abend des 19. Februar in Hanau.
„Es ist ein Bestandteil meines Lebens und meiner Gedanken geworden“
„Es ist ein Bestandteil meines Lebens und meiner Gedanken geworden. Es ist nicht nur so, dass ich zum Jahrestag daran denke, sondern der Gedanke beschäftigt mich immer. Einerseits habe ich ein bisschen gelernt, damit umzugehen, aber es ist immer noch schwer“, sagt Ajla Kurtović über ihren Umgang mit der Trauer und die Erinnerungen an die Tatnacht.
Zwei Wochen später findet in Hanau die zentrale Trauerfeier statt. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist zu Gast. Kurtović hält eine bewegende Ansprache. „Ich empfinde keinen Hass. Hass hat den Täter zu seiner rassistischen Tat getrieben. Damit liegen Hass und Rassismus sehr nah beieinander. Ich will, dass wir uns alle von Hass abgrenzen“, sagt sie dort.
In der SPD, um aktiv gegen Rassismus zu kämpfen
Statt Hass zu empfinden will sie Aufklärung betreiben und sich einbringen für eine offene Gesellschaft. Sie engagiert sich in der „Initiative 19. Februar Hanau“, wird Botschafterin des „Bündnis für Demokratie und Toleranz“ und tritt in die SPD ein. „Ich habe versucht, aus der ganzen Trauer und den Geschehnissen irgendetwas zu entwickeln, damit ich meinem Bruder gerecht werde. Denn weder er war so noch ich bin so und es wäre falsch, jeden Menschen zu beschuldigen und zu hassen“, sagt Kurtović im Gespräch mit dem „vorwärts“.
Zur Sozialdemokratie kommt sie, weil sie aktiv etwas gegen Rassismus tun will. „Der erste Schritt war, in eine Partei einzutreten. Denn es bringt nichts, immer nur zu schimpfen, wenn man nichts macht. Ich bin in die SPD eingetreten, weil es die Partei ist, mit der ich mich am meisten identifizieren kann“, sagt Kurtović.
Kurtović: Faeser wirkt glaubwürdig
Neben ihr sind mit Saida Hashemi und Abdullah Unvar auch zwei weitere Angehörige von Anschlagsopfern in der Hanauer SPD aktiv. „Mit Oberbürgermeister Claus Kaminsky haben wir eine starke Schulter in der SPD. Nach dem Anschlag wurden viele Versprechen gemacht, aber bei der SPD hatte man den Eindruck, dass auf Worte auch wirklich Taten folgen. Das ist der Grund, wieso die SPD unser Favorit ist“, sagt Kurtović.
Glaubwürdig wirkt für sie auch das Handeln der neuen Innenministerin Nancy Faeser, die den Anschlag von Hanau in ihrer Antrittsrede im Bundestag thematisierte und versprach, Menschen, die bedroht und angegriffen werden, besser zu schützen. „Ich kannte sie schon, bevor sie Innenministerin wurde, habe mich öfter mit ihr unterhalten und hatte immer den Eindruck, dass sie das ernst meint, was sie sagt. Im Hessischen Landtag war sie auch sehr bemüht, die Aufklärung voranzutreiben“, sagt Kurtović.
Ihr Bruder wäre stolz auf sie
Faeser war es auch, die sie fragte, ob sie als Wahlfrau der hessischen SPD an der Bundesversammlung teilnehmen wolle. Am Sonntag ist es so weit. „Es ist für mich eine riesengroße Ehre und ich bin sehr stolz, dass ich da teilnehmen darf“, sagt sie. Die Zugverbindung und das Hotelzimmer hat sie schon gebucht. Jetzt steigt die Aufregung mit jedem Tag. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sie durch seine Besuche in Hanau bereits kennengelernt. Deswegen meint sie vielsagend: „Einen heimlichen Favoriten habe ich auf jeden Fall.“
Gleichzeitig ist Ajla Kurtović dieser Tage mit gemischten Gefühlen unterwegs. Denn nur sechs Tage nach der Bundesversammlung jährt sich der Anschlag vom 19. Februar 2020 zum zweiten Mal. Im Januar hat sie daher extra noch einmal zwei Wochen Urlaub gemacht, um Kraft zu tanken und vor dem Jahrestag noch einmal abzuschalten. „Es geht einem schon sehr nahe“, sagt sie. Was ihr Bruder Hamza wohl denken würde, wenn er wüsste, dass seine Schwester am Sonntag den Bundespräsidenten wählt? „Auf jeden Fall wäre er stolz“, glaubt sie.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo