Parteileben

Halil Tasdelen: „Ich lasse mich von denen nicht einschüchtern.“

An seinem 49. Geburtstag wurde der SPD-Kommunalpolitiker Halil Tasdelen aus Bayreuth rassistisch beleidigt und angegriffen. Doch davon will er sich nicht unterkriegen lassen und mehr Engagement denn je zeigen.
von Jonas Jordan · 12. Juli 2022
Halil Tasdelen ist für die SPD Stadtrat in Bayreuth.
Halil Tasdelen ist für die SPD Stadtrat in Bayreuth.

Sie wurden am Freitag rassistisch beleidigt und tätlich angegriffen. Wie geht es Ihnen jetzt?

Mir geht es im Vergleich zu Freitag deutlich besser. Die Nase ist noch eingegipst, die äußeren Spuren werden nach und nach verschwinden. Die Schmerzen in Herz und Seele sind im Moment noch sehr stark. 

Wie haben Sie den Angriff erlebt?

Es ging verdammt schnell. Diesen 49. Geburtstag werde ich mit Sicherheit nie vergessen. Ich stand am frühen Nachmittag vor meinem Haus mitten in der Stadt. Auf der Straßenseite gegenüber stand eine Frau, die dort wohnt und mich in der Vergangenheit schon öfter rassistisch beleidigt hat mit „scheiß Türke oder scheiß Ausländer“. Ich habe sie und ihre Beleidigungen immer ignoriert. Ein kahl geschorener Mann und eine blonde Frau kamen die Straße heruntergelaufen, haben die Frau begrüßt und sich mit ihr unterhalten. Der Mann schaute zu mir rüber und beschimpfte mich: „Ey, was schaust du denn, scheiß Türke... scheiß Kanake…“. Als er zu mir rüber lief, dachte ich an alles, aber nicht daran, dass er mich körperlich angreifen würde. Der Gedanke war noch nicht mal zu Ende gedacht, und schon bekam ich von dem Mann, der eineinhalb Köpfe größer war als ich, eine Kopfnuss auf die Nase und rannte davon. Ich war voller Blut. Es ging alles so schnell. Ich kann mich nur an seinen hasserfüllten Blick erinnern, alles andere habe ich in dem Moment nicht realisiert. 

Wie ging es weiter?

Ich habe mir in dem Augenblick mit der linken Hand an die Nase gefasst und gemerkt, dass ich stark blute und etwas mit der Nase nicht stimmt. Die beiden Frauen sind sofort ins Haus  gegangen, er ist über den Gartenzaun der Nachbarn gesprungen und abgehauen. Der Nachbar kam gleich und hat nach mir gesehen, während die Frau das Fenster aufgemacht und sarkastisch gerufen hat: „Na, braucht da jemand erste Hilfe?“

Haben Sie vorher schon Erfahrungen mit Anfeindungen gemacht?

Selbstverständlich. Vor allem zu unseren SPD-Infoständen kommen öfter Menschen mit verkorkster Ideologie, die für alles Migranten die Schuld geben. Aber auch im Alltag mache ich leider diese Erfahrungen, dass mich jemand rassistisch beleidigt. Ich nehme das garnicht mehr ernst. 

Wie beeinflusst der Angriff Ihre Arbeit als Kommunalpolitiker? Haben Sie Angst?

Ich werde darauf antworten, indem ich noch mehr Engagement zeige als Kommunalpolitiker. Ich lasse mich von denen nicht einschüchtern. Trotzdem ist es so, dass ich mich jetzt erst mal nach links und rechts umdrehe, bevor ich aus dem Haus gehe. Ich weiß, dass er inzwischen wieder auf freiem Fuß ist. Deswegen habe ich manchmal ein mulmiges Gefühl. Wenn so etwas am helllichten Tag passiert, was kann dann nachts alles passieren? Sind meine Kinder sicher, wenn sie nachts rausgehen? Welche Gedanken werde ich haben, wenn ich nachts draußen bin? Das sind Fragen, die mich sehr stark beschäftigen.

Was mir auch ab und zu durch den Kopf geht, ist die Frage: Was wäre, wenn er zum Beispiel ein Messer gehabt und auf mich eingestochen hätte? Ich hätte auch nicht mehr da sein können. 

Gleichzeitig habe ich hunderte E-Mails bekommen von Menschen, die Solidarität gezeigt haben. Menschen haben mich auf der Straße umarmt. Eine Frau ist weinend vom Fahrrad gestiegen und hat mich gedrückt.

Was bedeutet Ihnen diese Solidarität, auch von Bundespolitiker*innen wie Saskia Esken oder Cem Özdemir?

Das gibt meiner Familie und mir Kraft. Es gibt mir auch das Gefühl, dass ich nicht alleine bin, vielleicht sogar ein Gefühl von Sicherheit. Ich bin von den vielen, vielen Reaktionen überwältigt. Mein Bruder Arif, der Generalsekretär der BayernSPD, schickt mir regelmäßig Grüße von den Parteitagen, die in diesen Tagen stattgefunden haben. Saskia Esken, Cem Özdemir, unsere beiden Landesvorsitzenden Ronja Endres und Florian von Brunn. Arif hat mir erzählt, dass Kevin Kühnert in seiner Rede am Montagabend in Nürnberg den Vorfall angesprochen und mir die besten Genesungswünsche geschickt hat. In diesen Tagen merke ich, dass wir eine große Familie sind und die sozialdemokratische Familie zusammenhält, wenn es draauf ankommt. 

Es gab in den vergangenen Jahren einige Angriffe und Anfeindungen auf Kommunalpolitiker*innen. Muss mehr für deren Schutz getan werden?

Höchstwahrscheinlich ja. Was einen großen Teil dazu beigetragen hat, ist, dass die Rechtsextremisten inzwischen in den Landtagen und im Bundestag sitzen, mit unseren Steuergeldern finanziert werden und Jagd auf unsere freiheitlich-demokratischen Ordnung machen. Seitdem sie in den Parlamenten sind, sind diese Übergriffe Normalität geworden. Ich fühle mich 40 Jahre zurückversetzt. Als wir Anfang der 1980er-Jahre nach Deutschland kamen, waren überall Schmierereien mit „Türken raus, Kanacken raus“. In der Zeitung gab es Wohnungsanzeigen mit dem Hinweis „Bitte keine Ausländer“. Das war Alltagsrassismus und von morgens bis abends spürbar. Mittlerweile geht die Entwicklung wieder da hin, dass ich das vermehrt spüre, weil diese Rechtsradikalen in der Öffentlichkeit sind. Man jagt aber nicht nur uns, sondern auch die „Bio-Deutschen“, wie der Mord an Walter Lübcke gezeigt hat. Man macht Jagd auf Menschen, weil sie sich für die Freiheit und die Demokratie einsetzen. Das kann es nicht sein im 21. Jahrhundert.

Ihr Bruder, der bayerische SPD-Generalsekretär Arif Tasdelen, hat den Angriff auf Sie via Twitter öffentlich gemacht. Fanden Sie das gut?

Arif und ich haben darüber gesprochen, ich war skeptisch, er hat mich aber davon überzeugt, dass es wichtig wäre, wenn Menschen das mitbekommen, wenn ich nicht alleine bin, wenn wir das als Familie nicht alleine bewältigen müssen. Und wenn allen klar wird, welche Gefahr von Rechtsradikalen ausgeht. Ich bin ihm dankbar, weil diese bundesweite Solidarität mir Kraft gibt.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

0 Kommentare
Noch keine Kommentare