Halbzeit der #unsereSPD-Tour in Berlin: Die Zeichen stehen auf Veränderung
Gestern Baunatal, heute Berlin, morgen Hamburg. Pause gibt es nicht für die sieben Teams, die sich im Wettbewerb um den Parteivorsitz der SPD den Fragen der Mitglieder stellen. In Berlin ist das Interesse an der Veranstaltung am Dienstag im Willy-Brandt-Haus so groß, dass die Berliner SPD kurzerhand 14 „Public-Viewings“ vor Ort in den Bezirken organisiert hat, erklärt Michael Müller, Regierender Bürgermeister, SPD-Landeschef und Gastgeber der 12. Veranstaltung der #unsereSPD-Tour. Für die Landesverbände sei dieses Auswahlverfahren ein großer Gewinn. Es biete die Möglichkeit, miteinander zu diskutieren und in die Partei hineinzuhören. „Diese Zeit sollten wir uns nehmen“, betont Müller.
Mehr Kommunalpolitik in den Parteivorstand
Auch für Michael Roth ist es wichtig, dass die SPD wieder Ort wichtiger Debatten wird. „Und dabei darf es kein Basta geben“, erklärt er. Gemeinsam mit Team-Kollegin Christina Kampmann startet er die Vorstellungsrunde der Bewerber-Duos für den Partei-Vorsitz. Es sei wichtig, Türen und Fenster in der SPD wieder so weit zu öffnen, dass kluge und kreative Menschen Freude daran haben, „mit uns über die Zukunft unseres Landes und Europas zu diskutieren“, sagt Roth. Mehr Zeit außerhalb des Willy-Brandt-Hauses verbringen will auch Kampmann. „Wir wollen Zuhörstunden im ganzen Land“, sagt sie. Ihre Pläne sehen weiterhin vor, das Präsidium der SPD abzuschaffen und mehr Kommunalpolitikerinnen und -politiker in den Parteivorstand zu holen.
Einen neuen Stil des politischen Umgangs will auch Hilde Mattheis pflegen. Sie will eine Kultur leben, die von Vertrauen und Verlässlichkeit geprägt ist. Basisorientierung ist ihr Stichwort: „Wie wollen erst diskutieren, dann entscheiden, nicht umgekehrt“, erklärt sie. Ihr Co-Kandidat Dierk Hirschel ist empört, dass im Osten die AfD die Arbeitnehmerpartei ist und im Westen die CDU. Das könne nicht der Anspruch der SPD sein: „Wir sind die Partei der Arbeit“, so Hirschel. Doch eine gute Arbeitsmarktpolitik sei in der großen Koalition nicht zu machen.
Klartext-Kommunikation erwünscht
Um Menschen von ihren Antworten zu überzeugen, will Gesine Schwan jedoch nicht nur die innerparteiliche Diskussion führen, sondern auch mit den Menschen außerhalb der Partei reden. „Nur wenn wir nach draußen gehen und die dortigen Perspektiven erkennen, haben wir ein Verständnis dafür, wie wir auf die Bürger einwirken können“, sagt Schwan. Als Team-Kollege steht Ralf Stegner für „Klartext-Kommunikation“. „Die Sprache muss so sein, dass die Menschen uns verstehen“, sagt er. Die Menschen müssen wissen, woran sie mit der SPD seien, fügt er hinzu.
Für Klara Geywitz ist klar, dass die SPD wieder Trendscout für die Entwicklung sein muss. Dies kann sie werden, indem die Menschen ihre Interessen einbringen können – Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen, Gewerkschafter. Für Co-Kandidat Olaf Scholz ist vor allem Glaubwürdigkeit die zentrale Voraussetzung dafür, Akzeptanz und Unterstützung zu bekommen. „Wir müssen das, was wir sagen, hinterher auch tun“, sagt Scholz. Das setze seiner Meinung nach aber auch voraus, genau zu überlegen, ob "wir es auch hinkriegen".
Größen für die SPD gewinnen
Saskia Esken will gute Politik gemeinsam mit den Gewerkschaften, dem Mieterverband, der AWO und vielen anderen Akteuren der Zivilgesellschaft machen. Ihr Team-Kollege Norbert Walter-Borjans feiert heute seinen 67. Geburtstag. Borjans erklärt, wie gut Willy Brandt und auch Johannes Rau es verstanden hätten, das Interesse der kleinen Leute zu stärken, indem sie Menschen für sich gewonnen hätten, die selber nicht unbedingt auf Unterstützung angewiesen waren. Kirchen, Kunst, Kultur und Wissenschaft, „diese Größen müssen wir wieder für die SPD gewinnen“, sagt er.
„Wir kommen aus der Kommunal- und aus der Landespolitik“, betont Boris Pistorius. Da müsse man bereit sein, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen zu schaffen. Nicht wichtig sei, wer einen Vorschlag mache, sondern anzuerkennen, dass die Sozialdemokratie „unser gemeinsames Anliegen ist“, so Pistorius. Wir müssen das Ziel im Blick haben, erklärt Team-Kollegin Petra Köpping. „Aber den Weg dorthin müssen wir begleiten", fügt sie hinzu. Vertrauen sei ein wesentliches Problem, das die SPD habe, ist sie überzeugt.
254 Fragen beantwortet
Für Karl Lauterbach sollte man zuerst überdenken, ob man in der großen Koalition verharren sollte. „Wenn unsere eigenen Kinder zu 98 Prozent davon überzeugt sind, dass wir beim Klimaschutz nicht das richtige Konzept haben, dann sei das ein Notfall, für den man nicht zwei Jahre lang weiter nutzlos weiteregieren darf“, ist er überzeugt. Für Team-Kollegin Nina Scheer untergräbt die schon „zwanghafte Suche nach Konsens die Vielfalt der Partei“. Sie wünscht sich mehr Mut zum Streit und Auseinandersetzung.
So stimmungsvoll wie am Dienstag habe er das Willy-Brandt-Haus selten erlebt, erklärt der kommissarische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel. Zur Halbzeit der Tour – Berlin war die 12. von insgesamt 23 Etappen – präsentiert er etwas außergewöhnliche Zahlen: In den ersten 11 Veranstaltungen wurden bisher 254 Fragen aus dem Publikum beantwortet. Die Kandidierenden hätten 4.350 km zurückgelegt, 7.500 Teilnehmende waren vor Ort dabei und 226.000 hätten die Veranstaltungen per Livestream verfolgt. „Manchmal ohne Ton, manchmal ohne Bild, weil die Technik nicht mitgemacht hat“, wirft Schäfer-Gümbel ein. Und unter dem Strich seien bisher rund 5.400 Presseartikel erschienen, die über diese Tour berichtet hätten. Schäfer-Gümbel: „Sie sind überwiegend positiv, auch das freut uns ganz besonders.“
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.