Groko? Nogroko? – Am Ende steht ein Konsens
Was passiert mit der SPD, was passiert mit der Demokratie, wenn wir für die Groko stimmen oder dagegen? Vor allem diese Sorge war es, die 300 Hamburgerinnen und Hamburger in die Halle K4 auf Kampnagel strömen ließ. Dicht gedrängt saßen und standen sie im Saal, „um noch einmal alle Argumente zu hören“. So formulierte es ein Genosse vor der Tür in eine der zahlreichen Fernsehkameras, die im Saal nicht zugelassen waren. Viele hatten schon abgestimmt, Meinungen austauschen wollten sie trotzdem.
Pragmatiker gegen Theoretiker
Das Thema große Koalition hat sich für die SPD zum Publikumsmagneten entwickelt. So viel Beteiligung, so viel Interesse gab es schon lange nicht mehr, ob in Hamburg oder auch in meinem eigenen Ortsverein in Tornesch/Schleswig-Holstein. Die SPD ist in Bewegung. Sie diskutiert, diszipliniert und engagiert. Was für Außenstehende manchmal ein wenig nach Selbsterfahrungsgruppe aussehen mag, beschert der Partei so viele Eintritte wie schon lange nicht mehr. Und manche/r tritt auch deshalb ein, weil sie oder er für die Groko ist. Wenn so Erneuerung aussieht, muss einem um die SPD nicht bange werden.
Er hatte schon abgestimmt, und zwar pro Groko, wie er gleich zu Anfang erklärte: Andreas Dressel (43), SPD-Fraktionsvorsitzender in der Hamburger Bürgerschaft, promovierter Jurist und Vater von drei Kindern. Kevin Kühnert (28), Politikstudent und Juso-Vorsitzender, ist das Aushängeschild der Groko-Gegner. Politik-Pragmatiker gegen Politik-Theoretiker – wortmächtig sind sie alle beide. „Die SPD muss Verantwortung übernehmen“, sagt Andreas Dressel. „Die große Koalition hat ihren Zenit erreicht“, kontert Kevin Kühnert.
Erneuerung in der Regierung?
Der Ton macht die Musik, so ist es in jeder Debatte. In dieser ist es ein argumentatives Ringen um den besten Weg. Hier stehen keine unversöhnlichen Kombattanten gegenüber, sondern zwei Sozialdemokraten, von denen jeder für seine Partei das Beste will. „Ich finde es richtig gut, dass wir diese Diskussion führen, dass du sie führst“, sagt Dressel gleich zu Anfang an Kühnert gerichtet. Für Dressel ist klar: Die SPD hat viel herausgeholt mit diesem Koalitionsvertrag. Allein elf Milliarden Euro für die Bildung, betont er. Er nennt Mindestausbildungsvergütung, Wohnraumoffensive oder soziale Wohnraumförderung. „Wenn wir jetzt Nein sagen, wie sollen wir dann an den Infoständen argumentieren“, fragt er und erhält dafür viel Applaus von den anwesenden Genossinnen und Genossen.
Diese Erfolge bestreitet auch Kühnert nicht, aber es reicht ihm nicht. Ihm geht es um die langen Linien. Womit wird es der SPD, wird es der Demokratie in Deutschland auf lange Sicht bessergehen? Mit oder ohne Groko? Für den Juso-Vorsitzenden ist die Sache entschieden. „Die Groko sollte die Ausnahme sein, aber wenn sie zum dritten Mal kommt, ist sie keine Ausnahme mehr.“ Der Gang in die Opposition ist für ihn die Voraussetzung, um als SPD wieder stark zu werden.
Der AfD das Wasser abgraben
Die Notwendigkeit der Erneuerung bestreitet Andreas Dressel nicht, aber für ihn ist das auch in der Regierung möglich. Die SPD habe mit Andrea Nahles eine Fraktionsvorsitzende, die nicht in die Regierungsverantwortung eingebunden sei. Dressel: „Wir als Partei müssen uns für die Zeit nach 2021 Gedanken machen, wir müssen eigenständige Positionen formulieren. Partei muss selbstständig stattfinden.“
Eine weitere Sorge schwingt bei beiden mit, die vor der AfD. Für Kühnert ist die Partei ein weiterer Grund, die Groko abzulehnen. Die wäre in dem Fall nämlich größte Oppositionspartei im Bundestag. Würde die SPD sich hingegen nicht an der Regierung beteiligen, würde sie die Opposition anführen. In der Hamburger Bürgerschaft ist die AfD seit 2015 vertreten. Dressel weiß also, wovon er spricht, wenn er sagt: „SPD hat die Verantwortung, die Demokratie stabil zu halten. Wenn wir jetzt in eine Wahlauseinandersetzung gehen, bekommt die AfD noch mehr Stimmen.“
Sich nicht auseinandertreiben lassen
So unterschiedlich die Meinungen der beiden sind, in einem sind sie sich einig: „Wir wollen die Alternative bei den nächsten Wahlen sein.“ Diese Alternative gelte es, in der SPD gemeinsam zu gestalten: die Groko-Skeptiker und Goko-Befürworter, die Funktionäre und die Basis. Und so endet die Veranstaltung in einem Konsens: „Wir müssen uns in die Hand versprechen, dass wir uns nicht auseinanderdividieren lassen, egal wie es ausgeht.“