Sie ist das neue Gesicht im Kompetenzteam von Peer Steinbrück: Die Designprofessorin Gesche Joost will die Freiheit des Netzes schützen. "Wir würden uns sehr viele Chancen vergeben", sagt sie im Interview.
vorwärts: Frau Joost, was glauben Sie, wie viele Menschen wissen, was sich hinter dem Begriff Netzneutralität verbirgt?
Gesche Joost: Ich glaube, nicht so viele. Aber man muss auch gar nicht in die Details einsteigen. Wichtig ist, zu wissen, dass Netzneutralität die Grundlage für ein offenes und freies Internet ist.
Wie lässt sich der Begriff einfach erklären?
Netzneutralität bedeutet, dass die unterschiedlichen Daten, die im Netz kursieren, nicht diskriminiert werden dürfen. Kleine Anbieter und kleine Unternehmen dürfen mit ihren Diensten und Ideen im Netz nicht anders behandelt werden als größere. Die Eintrittsschwelle in den Markt muss niedrig sein, damit auch Startups mit ihren Angeboten durchdringen können. Gleichzeitig erfüllt das Internet aber nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftspolitische Interessen.
Das lässt sich nur per Gesetz regeln?
Ja. Die SPD fordert, dass dies gesetzlich verankert wird. Die schwarz-gelbe Regierung meint, dass es der Markt schon irgendwie selbst regeln wird. Dem ist aber nicht so. Wir müssen die richtigen Rahmenbedingungen schaffen: Das Netz ist auch ein Experimentierfeld, es geht um Teilhabe und Teilnahme – das müssen wir ermöglichen. Damit das Internet ein freier, offener und innovationsfreudiger Raum bleibt, muss es Netzneutralität geben.
Warum spiegelt diese Forderung eine sozialdemokratische Politik wider?
Für mich ist es eine Basisvorstellung von Politik, sowohl Teilhabe und Teilnahme als auch die Freiheit des Netzes zu schützen. Wir würden uns sonst sehr viele Chancen vergeben. Es ist eine positive Vision des gesellschaftlichen Miteinanders und der Transparenz, die wir mit der Vernetzung verwirklichen können.
Wie verändert das Internet die Gesellschaft? Peer Steinbrück spricht von einer vierten technischen Revolution.
Ich kann das an meiner eigenen Biografie beschreiben. Sowohl meine Mutter als auch mein Vater waren Schriftsetzer in der dritten Generation. Als ich klein war, gab es noch den Bleisatz, dann kamen die ersten Computer. Die waren so groß wie ein ganzer Raum. Mit den Jahren wurden sie immer kleiner. Heute kann ich die Arbeit mit meinem Laptop machen. Diese Entwicklung hat innerhalb von 30 Jahren stattgefunden. Bis in den kleinsten Handwerkerbetrieb hinein verändert die Digitalisierung die Art, wie wir arbeiten. Bestimmte Traditionen bleiben zwar erhalten, aber man muss sich auf viel schnellere Prozesse umstellen. Die Frage lautet: Was bedeutet diese Entwicklung sowohl für uns als Gesellschaft wie auch für jeden Einzelnen? Und wie muss Politik diesen Prozess begleiten?
Sind diese Veränderungen im Bewusstsein der Menschen schon angekommen?
Noch nicht bei allen. Aber es wäre fatal zu glauben, die Digitalisierung fände nur bei Facebook statt. Die Digitalisierung verändert nicht nur unsere Kommunikation. Sie ermöglicht digitale Arbeit von überall aus und kann somit zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf führen. Sie ermöglicht neue Geschäftsfelder für die Digitalwirtschaft. Sie ermöglicht aber auch eine vernetzte Bildung in der Schule.
Das geht aber weit über das Thema Netzpolitik hinaus?
Ja. Große Potenziale sehe ich zum Beispiel auch für den Bereich Forschung. Das Wissen, das durch Forschung entsteht, sollte nicht nur in der Bibliothek verfügbar sein. Wir sollten eine offene und vernetzte Forschung anstreben. Das Schlagwort dazu nennt sich open access und meint den direkten, offenen Zugang zu Forschungsergebnissen online.
Und in der Bildung?
Die SPD ist dafür, dass jedes Kind in der Schule einen Computer oder einen Tablet PC hat. Bildungsinhalte sollten digital verfügbar sein, Schulbuchinhalte sollten mit den Informationen im Netz verbunden werden. Dadurch kann ich Schülern und auch Studenten Medienkompetenz vermitteln und ihnen zeigen, dass Netzrecherche mehr ist, als nur bei Wikipedia nachzuschauen. Ziel ist es, Kinder und Jugendliche auf ihrem Weg in die Online-Welt zu begleiten, sie für ihre Privatsphäre zu sensibilisieren, sie aber gleichzeitig mit der Vielfalt der Informationen und den großen Potentialen des Netzes vertraut zu machen.
Wo sehen sie weiteren Handlungsbedarf?
Ganz wichtig ist der Ausbau der Breitbandinfrastruktur auch in ländlichen Gebieten. Ich bin häufig in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs und dort gibt es viele Gebiete, wo kaum Netz ist. Das geht einfach nicht. Wir können nicht sagen, die digitale Gesellschaft findet in Berlin statt. Es muss eine Universaldienstverpflichtung geben, die eine bestimmte Mindestqualität sicherstellt. Das heißt: Ein Recht auf Netz.
Wie verändert das Internet Politik?
Ich erinnere mich, dass mit der Popularisierung des Netzes in den 80er/90er Jahren die Vision verbunden war, dass dies der Ort sein könnte, wo mehr Basisdemokratie stattfinden kann. Das ist heute einlösbar, weil wir mit dem Web 2.0 bessere Beteiligungsmöglichkeiten haben. Da sehe ich große Möglichkeiten.
Eine unserer politischen Forderungen lautet deshalb auch, über offene Daten mehr Transparenz zu schaffen. So kann ich mich besser informieren, worüber gerade diskutiert wird. Das muss nicht nur die höchste politische Ebene sein, vielleicht ist es mir als Bürger wichtig, mich über die Bebauungspläne in meiner Nachbarschaft zu informieren. Aber da fängt politische Teilhabe an. Außerdem werden zum Beispiel Petitionen heute schon online eingereicht – das sind direkte Beteiligungsformate des Netzes, die wir stärken wollen.
Frau Joost, kann das Netz politische Beteiligung fördern?
Ja, weil man leichter mitmischen kann. Wenn ich auf Bürgerportalen die Planung in der Nachbarschaft einsehen und auch meine Meinung zu den beschriebenen Bebauungsplänen abgeben kann, bevor das Einkaufszentrum gebaut wird, kann ich direkt Einfluss nehmen. Voraussetzung ist, dass die Daten online verfügbar sind.
Open-Data-Politik bedeutet vereinfacht gesagt nur, die Tür aufzumachen, so dass öffentlichen Daten zum Beispiel der Verwaltungen auch offen und direkt zugänglich sind. Der zweite Schritt muss sein, die Menschen anzuspornen, durch diese Tür hindurch zu gehen.. Übrigens ist diese Öffnung auch eine wirtschaftliche Chance für kleine Unternehmen, indem sie diese Daten zum Beispiel in Nachbarschafts-Services verfügbar machen. Dann lade ich mir meine lokale Landkarte auf meinem Smartphone herunter und sehe, da ist etwas geplant, da gibt es ein Dokument dazu und hier kann ich mich beteiligen. So einfach muss das sein.
Mehr Informationen über Gesche Joost im Netz unter http://peer-steinbrueck.de/Kompetenzteam/99142/gesche_joost.html
hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.