Parteileben

Gabriel: „Wir müssen die Partei weiter öffnen“

Unter seinem Vorsitz wurde die SPD zur Mitmachpartei: Sigmar Gabriel ist seit fünf Jahren im Amt und will "Politik aus der Mitte des Lebens" machen.
von Yvonne Holl · 27. November 2014

Ihr Vorgänger Franz Müntefering adelte den SPD-Vorsitz als „das schönste Amt neben dem Papst“. Hat er recht?

Ich schätze den Humor von Franz Müntefering. Aber in diesem Fall kann ich mit dem Vergleich nichts anfangen, denn ich bin Lutheraner und der Papst ist für uns nicht so bedeutend wie für den ehemaligen Messdiener Franz. Aber eines stimmt: Es ist etwas sehr Besonderes, Vorsitzender dieser 151 Jahre alten Partei sein zu dürfen. Und es ist viel mehr wert als ein Amt in der Bundesregierung.

Was war der schönste Moment?

Ganz klar die Durchsetzung des Mindestlohns. Rückblickend wird die Einführung als historische Entscheidung und als großer sozialer Fortschritt bewertet werden. Viel zu lange wurden Tarifverträge, faire Löhne, Mitbestimmung und Gewerkschaften bekämpft. Der Mindestlohn setzt eine längst überfällige Grenze nach unten und das Gesetz bewegt viele zur Rückkehr in die Sozialpartnerschaft der Tarifverträge. Unser Ziel sind bessere Tariflöhne. Dahin haben wir einen Riesenschritt getan.

Und der schwierigste?

Eine der schwierigsten Entscheidungen, die ich in meinem politischen Leben bislang treffen musste, war die Waffenlieferung in den Nord-Irak. Die schrecklichen Massaker an den Kurden und Jesiden, das barbarische Vorgehen der IS ließen nur einen Schluss zu: Wenn man den kurdischen Kämpfern nicht hilft, geht das Morden ungehindert weiter. Die Entscheidung war in dieser Situation richtig und sie bedeutet auch keine Abkehr von unseren Rüstungsexportrichtlinien: Selbstverständlich gilt weiterhin der Grundsatz: keine Waffen in Krisengebiete.
Mit dem Mitgliederentscheid zur ­großen Koalition haben Sie neue Maßstäbe in der Mitgliederbeteiligung gesetzt. Wie bewerten Sie aus heutiger Sicht das Votum?
Das Mitgliedervotum zum Koalitionsvertrag war ein Meilenstein in der deutschen Parteiengeschichte. Wir Sozialdemokraten haben damit einen Standard gesetzt für innerparteiliche Demokratie. Wir sind vor einem Jahr einen Schritt gegangen, der bis dahin undenkbar war: Unsere Mitglieder haben eine Frage entschieden, die für die SPD und für Deutschland von historischer Bedeutung war. Das Votum hat den Stolz von fast 500 000 SPD-Mitgliedern auf ihre Partei wiedergeweckt. Die SPD setzt auch hier Maßstäbe. Und es gab danach in Berlin, Sachsen und Thüringen Mitgliedervoten, deren Erfolg auf die gesamte SPD ausstrahlt.

Welche Ziele hatte das erste Jahr der großen Koalition?

Wir wollten zeigen, dass wir unsere Wahlversprechen halten und den Koalitionsvertrag umsetzen. Das ist uns ohne Zweifel gelungen. Und wir wollten zeigen, dass wir regieren können – und zwar besser als Schwarz-Gelb. Auch daran gibt es keine Zweifel. Ich erinnere an das Elend der ersten Monate der CDU-, CSU- und FDP-Regierung. Dieser Murks hat der Politik insgesamt einen Vertrauensverlust eingebracht, der nur durch gutes Regieren wieder wett gemacht werden kann.

Welche Strategie verfolgen Sie für die kommenden drei Jahre?

Wir müssen Vertrauenskapital aufbauen. Das braucht Zeit, denn viele Erschütterungen der Vergangenheit wirken noch heute nach. Auch die CDU verfügt über kein höheres Vertrauenskapital als wir – das hat nur Frau Merkel. Die SPD sagt, was sie tut. Und sie tut, was sie sagt. Und die SPD ist so geschlossen wie schon lange nicht mehr. Entscheidend wird sein, dass die Menschen täglich erleben können, dass die SPD die sie ganz direkt betreffenden Zukunftsfragen verlässlich angeht.

Welche Zukunftsfragen sind das?

Eine sehr alte Frage ist leider wieder aktuell geworden: Wie schaffen wir (wieder) Aufstieg durch Bildung? Und wie verhindern wir, dass das Einkommen der Eltern, Beziehungen und Verbindungen mehr über die Zukunft eines jungen Menschen entscheiden als Leistung und Intelligenz? Da waren wir in Deutschland schon mal weiter. Vor allem das Leben der 30- bis 50-Jährigen mit Kindern müssen wir mehr in den Blick nehmen. Sie geraten immer mehr von zwei Seiten unter Druck: Sie sollen höchste Leistung im Betrieb bringen und sich zuhause engagiert um ihre Kinder kümmern. Manchmal kommt auch noch die Pflege von Familienangehörigen dazu. Wie schaffen wir Bedingungen unter denen diese Familien all das schaffen können? Aber es gibt auch ganz neue Fragen: Zum Beispiel wie gestalten wir Zeitsouveränität in einer Arbeitswelt, die permanente Verfügbarkeit erwartet? Oder wie setzen wir Arbeitnehmerrechte in einer digitalisierten Ökonomie durch? Wie leben wir in einer digitalisierten Gesellschaft? Darum müssen wir uns kümmern. Die SPD muss sich im Alltag der Menschen auskennen, denn es geht darum, fortschrittliche Politik aus der Mitte des Lebens zu machen.

Und was ist die Zukunftsfrage für die SPD?

Wir müssen die Partei weiter öffnen. Ich glaube, dass die SPD nie verstaubt war, aber sie hatte jedenfalls dieses Image. Wir müssen zeigen, dass auch die junge Unternehmerin ebenso selbstverständlich sozialdemokratisch sein kann wie der Facharbeiter oder die Angestellte im Pflegedienst. Die SPD war immer dann erfolgreich, wenn sie gesellschaftliche Bündnisse für den Fortschritt bilden konnte.

Autor*in
Yvonne Holl

ist Redakteurin für Politik und Wirtschaft.

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