Frank Richter: Warner vor der AfD statt Pegida-Versteher
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Der „Schieler“ ist eine Meißner Spezialität. Es handelt sich dabei um einen Wein, der aus roten und aus weißen Trauben gekeltert wird. Wegen seiner hellroten Farbe gilt er unter Winzern als „Rotling“. An einem heißen Sonntag Mitte August stoßen Gesine Schwan und Frank Richter mit einem Glas „Schieler“ miteinander an. Schwan, die zweimalige Präsidentschaftskandidatin und Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, ist nach Meißen gekommen, um Richter in seiner Geburtsstadt im Landtagswahlkampf zu unterstützen.
Auch er ist so eine Art „Rotling“. Nach 25 Jahren in der CDU trat Richter 2017 wegen einer fehlenden Streitkultur im sächsischen Landesverband aus. Bei der Landtagswahl am 1. September kandidiert er für die SPD als Parteiloser. Um das möglich zu machen, änderte die sächsische SPD extra ihre Satzung. „Die SPD ist die Partei, die mir am nächsten steht“, sagt Richter. „Im S der SPD steckt mehr C als im C der CDU“, schreibt er auf seiner Internetseite.
Die Menschen ermutigen, ihre Interessen zu vertreten
Gesine Schwan ist zu einer „Sonntagsmatinee“ nach Meißen gekommen. Etwa vierzig Minuten spricht sie in einem hellen Raum, der zu einer Freikirche gehört, über die Frage „Wie gestalten wir unsere Zukunft gemeinsam?“. Danach können Fragen gestellt werden. Schwan plädiert dafür, sich besonders vor Ort einzubringen und wirbt für „aktive Bürgerinnen und Bürger“, die ihr Umfeld selbst gestalten sollen.
Frank Richter hat an diesem Vormittag die Rolle des Zuhörers. Doch was Gesine Schwan sagt, würde er vermutlich genau so unterschreiben. „Die Vorliebe des Westens, den Einzelnen zum Ausgangspunkt politischer Überlegungen zu machen und das Gemeinwohl von ihm abzuleiten, ist mir sympathisch“, schreibt Richter in seinem im Frühjahr erschienenen Buch „Gehört Sachsen noch zu Deutschland?“. Er untersucht darin die ostdeutsche Seele und weshalb der Landesteil so anfällig ist für die Parolen von Rechtspopulisten und -extremisten. Es müsse darum gehen, „Menschen zu unterstützen und sie zu ermutigen, ihre Interessen selbst zu vertreten“.
Zielscheibe der AfD
In das Buch eingeflossen sind Erfahrungen, die Frank Richter während des Meißner Oberbürgermeisterwahlkampfs im vergangenen Jahr gemacht hat. Als Parteiloser und Politik-Neuling holte er im ersten Wahlgang die Mehrheit der Stimmen. In der Stichwahl fehlten ihm schließlich 98 Stimmen, um den amtierenden Oberbürgermeister zu schlagen. Der wurde nicht nur von der CDU unterstützt, sondern auch von der AfD. Die agitierte offen gegen Richter und bezweifelte seine Rolle im Herbst 1989 als er als einer der „Gruppe der 20“ in Dresden mit den Behörden Verhandlungen über Bürgerrechte führte.
„Im Jahr 1989 bedeutete und bewirkte die massenhaft gerufene Parole ‚Wir sind das Volk‘ auf den Straßen von Plauen, Leipzig und Dresden die Eroberung der Volkssouveränität“, erinnert Frank Richter in seinem Buch. Dass derselbe Satz nun bei den fremdenfeindlichen Demonstrationen von Pegida und AfD skandiert wird, schmerzt Richter deshalb besonders. Aus seiner Sicht beweist es aber auch „die tiefe Vertrauenskrise zwischen Teilen der Bevölkerung und der Regierung“.
Das Recht auf ein Gegenargument
Schon als Direktor der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung setzte er deshalb auf Gespräche, auch mit Pegida. Dass er 2015 auf dem Höhepunkt der Anti-Flüchtlingsproteste der Pegida-Führung die Räume der Landeszentrale für eine Pressekonferenz zur Verfügung stellte, brachte ihm das Etikett „Pegida-Versteher“ ein. Richter mache sich zum Stichwortgeber der Rechte, lautete damals ein Vorwurf.
„In der Demokratie hat jeder Idiot das Recht, immer wieder mit einem vernünftigen Gegenargument konfrontiert zu werden, um aus seiner Kammer der Idiotie herausgeholt werden“, ist dagegen der 59-Jährige überzeugt. Beim Sommerfest der sächsischen Landespressekonferenz wurde der Satz sogar zum „Zitat des Jahres“ gekürt.
Warnung vor Schwarz-Blau
Am Abend vor der Sonntagsmatinee mit Gesine Schwan ist Frank Richter in Freiberg zu Gast. Im SPD-Büro steht er neben Alexander Geißler, dem örtlichen Landtagskandidaten. Als die Mauer fiel und Richter mit dem DDR-Regime verhandelte, war Geißler noch gar nicht geboren. „Warum Sachsen nicht schwarz-blau werden darf“, lautet das Thema des Abends.
„Die Schwüre von Michael Kretschmer, dass er keine Koalition mit der AfD eingehen möchte, höre ich gerne, aber es fällt mir schwer, sie zu glauben“, sagt Richter über den Ministerpräsidenten. Der sächsischen CDU, der er ein Vierteljahrhundert angehörte, attestiert er eine „große Anschlussfähigkeit für autoritäres und nationalistisches Denken“. Dass sich erst die NPD und nun die AfD in Sachsen etablieren konnte, kreidet Richter besonders der Union an. Die rechtsextremistische Ideologie habe sich im Freistaat über viele Jahre hinweg entwickelt. „Sie hatte stets starke politische Unterstützung in konservativen Kreisen.“
Richters Schluss ist deshalb klar. „Wir müssen darum kämpfen, dass die AfD nicht in Regierungsverantwortung kommt und gleichzeitig ihre Wähler nicht ausgrenzen.“ Das werde nicht leicht, und könne nur gelingen, wenn eines klar sei: „Die überzeugten Demokraten müssen sich jetzt stark machen.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.