Sie wollten die gesundheitliche Situation der Arbeiter verbessern. Vor 100 Jahren schlossen sich sozialdemokratische Ärzte in Berlin zusammen. Aus ihnen entstand die älteste Arbeitsgemeinschaft der SPD. Am Freitag hat sie Geburtstag gefeiert.
Irgendwann war es ihnen zu bunt. Um die gesundheitliche Situation der Arbeiter im Kaiserreich zu verbessern, schlossen sich knapp zwei Dutzend Ärzte in Berlin zum „Sozialdemokratischen Ärzteverein“ zusammen. Es stießen bald auch ein paar Apotheker dazu. Das war 1913.
„Diese Ärzte setzten Hoffnung in die aufstrebende sozialdemokratische Bewegung“, erinnert Armin Lang. Der 66-Jährige ist so etwas wie einer der Enkel der Ärzte von damals: Seit 2006 ist er Vorsitzender der Arbeitgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG), des Nachfolgers des Ärztevereins und der ältesten Arbeitsgemeinschaft der SPD.
Mit einem Festsymposium im Willy-Brandt-Haus feiert die ASG am Freitag ihr hundertjähriges Gründungsjubiläum, „einen Geburtstag im Jahr der Geburtstage“, wie ihn SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles nennt. Denn nicht nur sozialdemokratische Größen wie August Bebel und Willy Brandt haben in diesem Jahr runde Jubiläen, auch die SPD hat ihr 150-jähriges Bestehen mit verschiedenen Veranstaltungen begangen.
Arme sterben früher
„Die Ärzte und Apotheker haben 1913 persönliche Nachteile in Kauf genommen, um Fortschritte für die Gesellschaft zu erreichen“, sagt Andrea Nahles am Freitag Nachmittag in der SPD-Parteizentrale – und erinnert auch daran, dass unter ihnen viele jüdischen Glaubens waren. „Sie dürfen nicht vergessen werden!“ Und auch wenn sich die gesundheitliche Situation in den vergangenen hundert Jahren deutlich verbessert habe – etwa durch die Einführung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall 1969 oder das Krankenhausfinanzierungsgesetz 1972 – weiß die SPD-Generalsekretärin auch: „Die Arbeit ist weiß Gott noch nicht zuende.“
Besonders deutlich machte dies erst wieder der „Datenreport 2013“, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Sein Ergebnis: Die Lebenserwartung von Männern der niedrigsten Einkommensgruppe liegt im Schnitt fast elf Jahre unter der von Männern mit hohem Einkommen. Bei Frauen beträgt der Unterschied acht Jahre. „Das ist ein harter Befund“, findet Nahles und eine Situation, der sich die ASG und mit ihr die SPD annehmen müsse.
„Diese Erkenntnis darf uns nicht ruhen lassen“, meint auch der ASG-Vorsitzende Armin Lang. Eine gute Gesundheit dürfe nicht vom Einkommen abhängen. Wenn immer mehr ärztliche Leistungen privat bezahlt werden müssten, könne dies zu „neuen Klassenschranken“ führen. Deshalb stellt Lang für die ASG klar: „Die solidarische Absicherung ist für uns alternativlos.“
Regelungen im Koalitionsvertrag als Kompromiss
Für den Vorsitzenden ist deshalb auch klar: „Wir werden uns mit der Festschreibung der geringeren Arbeitgeberbeiträge bei der Krankenversicherung nicht abfinden.“ Eben diese hatten SPD, CDU und CSU in ihrem diese Woche beschlossenen Koalitionsvertrag festgeschrieben. In diesem sei für die SPD zwar „viel erreicht worden“, so Lang, „aber es gibt auch noch unendlich viel zu tun“. Besonders beim Präventionsgesetz, bei der Neuordnung der psychiatrischen Betreuung und der „menschenwürdigen Pflege“ sieht Lang noch deutlichen Nachholbedarf und gibt zu bedenken: „Eine linke Mehrheit in Deutschland bleibt möglich und nötig.“
Auch Andrea Nahles gibt zu, dass die Einigung im Koalitionsvertrag ein Kompromiss ist. „Gerade im Gesundheitsbereich haben wir gemerkt, wo die drei Parteien aufeinandertreffen“, erzählt die Generalsekretärin. Mit dem Gesamtergebnis sei sie zwar zufrieden, „weil es vielen Menschen konkrete Verbesserungen bringt“, aber es gebe noch ein großes Ziel zu erreichen. „Ich möchte, dass die Bürgerversicherung kommt“, bekräftigt Andrea Nahles. „Für dieses Ziel stehen wir weiter.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.