Parteileben

FES-Studie: „Die SPD hat die innerparteiliche Demokratie entscheidend modernisiert“

Eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung befasst sich mit Instrumenten innerparteilicher Demokratie in sieben Ländern. Der SPD bescheinigen die Autor*innen eine Vorbildfunktion für andere Parteien.
von Jonas Jordan · 3. März 2020
In einer Mitgliederbefragung setzten sich Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als neue SPD-Parteivorsitzende durch.
In einer Mitgliederbefragung setzten sich Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken als neue SPD-Parteivorsitzende durch.

Welche Vorteile bietet Mitgliederbeteiligung?

de Nève: Die Beteiligung der Mitglieder an Entscheidungen in Parteien ist zunächst einmal ein Muss. In Deutschland schreibt gar das Parteiengesetz die Beteiligung der Mitglieder zwingend vor. Strittig ist freilich, in welcher Form dies geschieht. In der Vergangenheit spielten insbesondere zwei Formate eine wichtige Rolle, das Delegationsprinzip und die Versammlung. In unserer Zeit haben diese Formate nach wie vor ihre Berechtigung. Sie reichen indes nicht aus, um wichtige Funktionen von Parteien bei der Aggregation und Repräsentation von Interessen zu gewährleisten. Insofern sind Parteien heute einfach gezwungen, neue Wege zu gehen, um mit Mitgliedern zu kommunizieren, sie an Entscheidungen teilhaben zu lassen und um den Kreis der Adressat*innen zu erweitern.

Ferch: Aus Sicht der Mitglieder können Beteiligungsinstrumente die Parteimitgliedschaft aufwerten – vor allem im Falle verbindlicher Mitentscheidungen. Für Parteiführungen kann Mitgliederbeteiligung Fluch und Segen zugleich sein: Parteivorsitzende legitimieren ihren Kurs durch ein Votum der Basis zusätzlich und gehen damit gestärkt in den politischen Wettstreit mit anderen Parteien. In anderen Fällen werden Parteiführungen bei Urabstimmungen oder Urwahlen aber auch von der Basis „abgestraft“ und damit geschwächt oder gar zum Rücktritt bewegt. Nicht zu vergessen ist dabei auch die Wirkung, die solche Instrumente und Vorgänge auf Wähler*innen außerhalb der Partei haben.

Wie können Formen innerparteilicher Mitbestimmung möglichst gewinnbringend gestaltet werden?

Ferch: Im Idealfall hat eine Partei ein etabliertes Instrumentarium gut funktionierender Instrumente für verschiedene Aspekte innerparteilicher Demokratie abrufbereit in petto. Diese Instrumente sollten für alle Zielgruppen innerhalb der Partei gleichermaßen gut zugänglich und in ihrer Anwendung verständlich sein. Wenn dieses Instrumentarium nachhaltig verfügbar ist, kann es von Parteien jederzeit, also auch kurzfristig, genutzt werden.

de Nève: Wir sollten hier natürlich differenzieren, für wen letztlich die Vorteile entstehen. Digitale Instrumente bieten den Mitgliedern im Idealfall neue und unmittelbarere Partizipationschancen. Aus der Perspektive der Parteien besteht der Gewinn potenziell in zusätzlichem Input, Mobilisierung und auch einem Legitimationszuwachs für Personal- und Sachentscheidungen. Bei all diesen Vorteilen sollten wir indes nicht übersehen, dass die Etablierung dieser Instrumente auch mit Kosten und Unsicherheiten verbunden ist.

Wie sind die Parteien in Deutschland in Bezug auf partizipative Elemente aufgestellt?

de Nève: Die Piratenpartei hat in Deutschland eine Entwicklung hin zu mehr Beteiligung, Transparenz und Digitalisierung inspiriert. Andere Parteien haben sich von den Piraten inspirieren lassen und die Mitglieder haben auch eine stärke Beteiligung eingefordert. Im internationalen Vergleich ist die Digitalisierung der parteiinternen Demokratie in Deutschland noch ausbaufähig. Dies hängt mit den geltenden Restriktionen des Parteienrechts und datenschutzrechtlichen Regelungen zusammen.

Ferch: Wir stellen fest, dass die deutschen Parteien partizipative Instrumente recht unterschiedlich nutzen und aus den rechtlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich viel „herausholen“. Das mag aber auch damit zusammenhängen, dass es hinsichtlich der Frage nach mehr Beteiligung Unterschiede zwischen den Interessen der Mitglieder verschiedener Parteien gibt.

Inwieweit kann die SPD mit ihren Mitgliedervoten über die Große Koalition 2013 und 2018 sowie der Befragung bezüglich des Parteivorsitzes 2019 als vorbildlich angesehen werden?

Ferch: Die SPD hat mit ihrer jüngsten, vom Statut her nur unverbindlichen Mitgliederbefragung zum Parteivorsitz einen kreativen Kniff angewandt, um die Vorgaben des deutschen Parteiengesetzes nicht zu verletzen. Das hätte schiefgehen können, wenn sich der Bundesparteitag nicht an das Votum der breiten Basis gehalten hätte und/oder es weitere (Kampf-)Kandidaturen gegeben hätte. Insofern war das keine Lösung, die man in dieser Form wiederholen sollte. Wie man aber nicht zuletzt auf den Regionalkonferenzen sehen konnte, haben die Diskussionen die Partei erheblich belebt. Das sollte man nicht unterschätzen! Aus dieser Perspektive sind die Mitgliedervoten 2013 und 2018 lediglich als Schlussabstimmungen über Ergebnisse von Prozessen zu verstehen, an denen die Mitglieder nicht wirklich beteiligt waren.

de Nève: Die SPD hat mit ihren Mitgliedervoten gemeinsam mit Bündnis 90/Die Grünen, die mit ihren Urwahlen vergleichbare Standards gesetzt haben, die innerparteiliche Demokratie entscheidend modernisiert. Damit haben sie eine Vorbildfunktion für andere Parteien, nicht nur in Bezug auf diese Entscheidungen selbst, sondern auch auf die Nachhaltigkeit. In der SPD ist klar, dass über nächste Koalitionen nicht wieder in einem Hinterzimmer entschieden wird. Das unterscheidet eben diese Beteiligungspolitik und das Selbstverständnis als Mitmach-Partei von anderen Parteien, die die Mitglieder mal einladen, sich zu beteiligen, dann aber gerne doch wieder im Vorstand alleine entscheiden. Das kann man aktuell bei der Führungskrise der CDU sehr eindrücklich beobachten.

Welche Zielgruppen sollten Parteien mit partizipativen Elementen adressieren?

Ferch: Alle, die sie ihrem Selbstverständnis und ihrer jeweiligen Strategie entsprechend adressieren möchten: Die zentralen Fragen hier sind, wann und wofür eine Partei solche Instrumente überhaupt einsetzt, inwiefern sie sich auch an Nichtmitglieder richten sollen und wie eine zielgruppengerechte Ansprache sichergestellt werden kann.

Auf welche Instrumente innerparteilicher Demokratie sollten sich Parteien im Kontext der Digitalisierung stärker konzentrieren?

de Nève: Der springende Punkt ist aus meiner Sicht die Partizipation im engeren Sinne. Wir haben inzwischen viele Formate, die für den Informationsfluss und zur Debatte genutzt werden. Die Chancen, tatsächlich digital zu partizipieren und damit tatsächlich an parteiinternen Entscheidungen direkt beteiligt zu sein, sind nach wie vor unterentwickelt.

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Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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