Esken und Walter-Borjans: Großes Potenzial für die Politik der SPD
Wenige Wochen vor der Bundestagswahl steht die SPD in den Umfragen so gut da wie lange nicht. Was ist passiert?
Saskia Esken: Die steigenden Umfragewerte freuen uns natürlich, aber sie überraschen uns nicht. Wir haben das ganze vergangene Jahr genau darauf hingearbeitet: die große Beliebtheit und Kompetenzzuschreibung von Olaf Scholz zusammen mit unserem sehr guten Zukunftsprogramm in Zustimmung zur SPD zu verwandeln. Dieser Plan geht jetzt auf.
Norbert Walter-Borjans: Wir haben immer gesagt, dass wir bei der Bundestagswahl die 20-Prozent-Marke überschreiten werden und auch 25 Prozent erreichen können. Viele haben uns dafür belächelt. Die guten Umfragewerte sind kein Grund, jetzt abzuheben, aber wir waren uns immer gewiss, dass es ein großes Potenzial für die Politik der SPD gibt – verlässlich umgesetzt von einem Bundeskanzler Olaf Scholz. Es ist schön zu erleben, dass sich das nun bewahrheitet.
Sie haben die große Beliebtheit von Olaf Scholz erwähnt. Was zeichnet ihn als Kanzlerkandidat aus?
Saskia Esken: Nach der Entscheidung über den Parteivorsitz war Olaf Scholz bereit, gemeinsam mit uns die SPD zusammenzuführen und auf einen guten Weg zu bringen. Wir haben von Anfang an sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet. Als Vizekanzler zeigt er jeden Tag, dass er die Regierungsarbeit in all ihren Facetten sehr souverän beherrscht. Er ist ein glänzender Verhandler und kann Dinge durchsetzen, wo andere längst aufgegeben haben – denken Sie nur an die globale Mindestbesteuerung. Auf Basis seiner sozialdemokratischen Grundhaltung macht er eine Politik, die unserem Land guttut.
Sie sind in diesen Wochen viel im Land unterwegs. Ist es trotz Corona noch ein normaler Wahlkampf geworden?
Norbert Walter-Borjans: Ich habe den Eindruck, dieser Wahlkampf ist besonders intensiv, weil die Menschen nach Zeiten des Lockdowns persönliche Kontakte suchen. Die Bürgerinnen und Bürger sind sehr interessiert an den Positionen der SPD. Das wundert mich auch nicht, denn eine Partei, die ausstrahlt, dass mit ihr Veränderung sozial abgesichert möglich ist, erreicht die Menschen ganz anders als eine, die nur auf die Wahrung des Status Quo setzt. Besonders von Wechselwählern höre ich zurzeit häufig: Diesmal SPD!
Welche Themen bewegen die Menschen besonders?
Saskia Esken: Corona ist immer noch immer ein sehr wichtiges Thema. Entscheidender sind aber die Erfahrungen, die die Menschen gemacht haben, die mit dem Virus an sich gar nicht direkt zu tun haben, die durch die Pandemie aber unübersehbar wurden: die Frage von Respekt und gerechten Löhnen in den sogenannten systemrelevanten Berufen zum Beispiel. Nach der entsetzlichen Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ist auch das Klima-Thema, das zeitweise von Corona verdrängt worden war, wieder stark in den Mittelpunkt gerückt. In unserem Zukunftsprogramm geben wir auf all diese Fragen die richtigen Antworten.
Norbert Walter-Borjans: Die Leute erwarten zu Recht, dass wir Zukunft und Gegenwart zusammen denken: Klimaschutz und weltweite Konfliktvermeidung, aber auch faire Löhne und ein bezahlbares Leben hier und jetzt.
Was davon sollte in einem möglichen Koalitionsvertrag stehen?
Saskia Esken: Auf jeden Fall ein höherer gesetzlicher Mindestlohn von mindestens zwölf Euro, ein Bundestariftreuegesetz und ein Gesetz, mit dem der Ausbau der Infrastruktur beschleunigt wird. Ganz wichtig sind auch das Mietenmoratorium und die Allianz fürs Bauen: Wohnen muss wieder bezahlbar werden!
Norbert Walter-Borjans: Der Fortschritt muss uns allen zu Gute kommen. Die anstehenden Veränderungen dürfen nicht zu wenigen großen Gewinnern und vielen Verlierern führen. Dazu braucht es einen Staat, der einen klaren Rahmen setzt – der die Lust am Erfinden fördert und die Spaltung zwischen oben und unten überwindet. Das schließt Steuergeschenke für die Reichsten genauso aus wie Sozialabbau. Im Gegenteil: Wir werden die Steuern für 95 Prozent der Bevölkerung senken – und das mit einem zumutbaren Mehrbeitrag der oberen fünf Prozent finanzieren.
Für Sie beide ist dies der erste Bundestagswahlkampf als Parteivorsitzende. Macht das einen Unterschied?
Saskia Esken: Klar, auch in meinem Wahlkreis in Baden-Württemberg nehmen mich die Leute jetzt als Parteivorsitzende wahr, aber eben auch als ihre Abgeordnete. Ich mache dort genauso Wohnzimmergespräche mit fünf Leuten und Infostände wie in den Wahlkämpfen zuvor. Der größte Unterschied zu früheren Wahlkämpfen ist für mich, dass bei der Bundestagswahl erstmals die Amtsinhaberin Merkel nicht mehr antritt. Dabei hat sich unser politischer Gegner noch gar nicht so richtig festgelegt, wohin die sogenannte Union sich hinentwickeln will: Will man die Laschet-Union sein oder die Söder-Union? Oder wird es vielleicht doch die Amthor- oder sogar die Maaßen-Union. Aber schon die Machtoption der SPD, dass die SPD Stand heute mehrere Optionen hätte bei der Regierungsbildung - das verändert den Wahlkampf gewaltig.
Norbert Walter-Borjans: Die Verbindung zu meinem früheren Amt als nordrhein-westfälischer Finanzminister spielt in diesem Wahlkampf durchaus eine Rolle – etwa bei den vielen Einladungen zum Austausch über Steuergerechtigkeit und gerechte Lastenverteilung, aber auch über nachhaltiges Unternehmertum. Hinzu kommt, dass ich als Minister sieben Jahre lang mit Armin Laschet zu tun hatte. Seine Eskapaden der vergangenen Wochen wundern mich deshalb nicht. Sie haben einfach sein wahres Ich offengelegt und zeigen, woran es diesem Kandidaten mangelt: an der gerade jetzt so wichtigen Ernsthaftigkeit und Verlässlichkeit.
Saskia Esken, Sie haben bereits gesagt, dass Sie auf dem Parteitag im Dezember erneut für den SPD-Vorsitz kandidieren wollen. Heißt das, Sie machen zusammen weiter?
Saskia Esken: Norbert und ich haben in den knapp zwei Jahren als Parteivorsitzende eine Menge erreicht, aber es gibt auch noch viel zu tun. Da geht es um die Modernisierung der Parteiarbeit und ihre Öffnung nach innen wie nach außen. Das würde ich gerne angehen.
Norbert Walter-Borjans: Mir ging und geht es darum, für einen engen Schulterschluss in der SPD-Führung und über alle Parteigliederungen hinweg zu sorgen. Dafür sind Saskia und ich vor zwei Jahren gemeinsam angetreten, und es ist uns aus der Sicht Vieler auch gut gelungen. Wir haben in der Partei aber auch inhaltlich neue Schwerpunkte gesetzt. Die sind in unserem gemeinsam entwickelten Zukunftsprogramm deutlich erkennbar. Es geht darum, diesen Kurs zu festigen. Jetzt machen wir zuerst einmal Wahlkampf mit dem Ziel, die bestimmende Kraft zu werden.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.