Ernst Ulrich von Weizsäcker: Der Mann mit dem langen Atem
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Wer sich in der Politik, insbesondere in den Parteien, auch in der SPD, für den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen einsetzt, der muss einen langen Atem haben, denn es ist ein mühsames Geschäft. Aber was ist auch einfach, wenn Bestehendes infrage gestellt und ein grundlegend neues Denken verlangt wird? Ernst Ulrich von Weizsäcker, früher Lehrstuhlinhaber verschiedener Universitäten, Direktor am UNO-Zentrum für Wissenschaft und Technologie, Präsident des Instituts für Europäische Umweltpolitik und des Wuppertal-Instituts, Vorsitzender des Umweltausschusses im Deutschen Bundestag und heute Präsident des Club of Rome, hat einen langen Atem, auch als Mitglied der Sozialdemokratie. An diesem Freitag wird von Weizsäcker für seine 50-jährige Mitgliedschaft in der SPD geehrt.
Vordenker der Energie- und Ressourcenwende
Der am 25. Juni 1939 in Zürich geborene Wissenschaftler gehört zu den Pionieren einer Weltumweltpolitik und zu den Vordenkern der Energie- und Ressourcenwende. Es war ein Knaller, als von Weizsäcker 1989 sein Buch „Erdpolitik“ herausgab – ein engagiertes Plädoyer für eine ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Ökologie. Dieses Standardwerk mit der zentralen Forderung, dass die Preise endlich die Wahrheit sagen müssen, war ein wichtiger Beitrag für den Durchbruch der Forderung nach einer ökologischen Finanzreform, die zehn Jahre später, dann mit dem Bundestagsabgeordneten Weizsäcker, von der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder vorsichtig begonnen wurde. Heute gehört Ernst Ulrich von Weizsäcker zu denen, die nachdrücklich fordern, dass dieser Weg weiter und sehr viel mutiger gegangen werden muss. Tatsächlich bleiben sonst die ganzen Bekenntnisse zum Klimaschutz folgenlos.
Nicht minder bedeutend sind seine Bücher „Faktor Vier“ und „Faktor Fünf“, in denen von Weizsäcker deutlich macht, dass naturverträgliches Leben und Wirtschaften zum Treiber und zum Ziel für ein neues Modell von Fortschritt werden kann, ja muss, wenn sie nachhaltig sein sollen. Die Effizienzrevolution kann aus einer Kilowattstunde das Vier- bis Fünffache herausholen. Der Ausstieg aus der fossilen Welt wird zu einer realen Vision. Aber bis heute ist die Effizienzrevolution die ebenso unterschätzte wie vernachlässigte Seite der Energiewende.
Deshalb hat von Weizsäcker im November 2014 einen offenen Brief an Sigmar Gabriel geschrieben, endlich die ökologischen Notwendigkeiten zu sehen und die Effizienzrevolution als Chance für eine Modernisierung unserer Gesellschaft zu nutzen. Anders werden die selbstgesetzten Ziele nicht möglich. Doch noch immer spielt das „Greening“ von Wirtschaft und Technik keine zentrale Rolle in der Debatte über die Industrie 4.0. Und solange das nicht passiert, ist sie nicht auf der Höhe der Zeit.
Der enttäuschte Optimist
Ernst Ulrich von Weizsäcker ist ein Optimist, der sich hart an der Realität reibt. Deshalb ist er natürlich enttäuscht, dass er sich 1989 mit seiner Prognose getäuscht hat. Zumindest bisher ist nicht zu sehen, dass das 21. Jahrhundert zum Jahrhundert der Ökologie wird. Er hat die Wucht der anthropozentrischen Ökonomie unterschätzt, die mit ihrer Ideologie der Deregulierung und dem fast religiös anmutenden Glauben an den freien Markt, die aus Großbritannien und den USA kamen und die Welt erobert haben. Weizsäcker ist enttäuscht, dass die Menschheit scheinbar immer erst dann reagiert, wenn es wirklich brennt. Aber er resigniert nicht, auch wenn sein Glaube an Vernunft, Aufklärung und Rationalität offenbar größer war als die Wirklichkeit. Statt nachhaltig zu werden, wird unsere Zeit immer kurzfristiger, ja selbstverliebt. Die Moderne verliert an Kraft und Überzeugung.
Ernst Ulrich von Weizsäcker gehört zu denen, die auch deshalb für ein Bündnis von ökologischer und sozialer Gerechtigkeit plädieren. Damit werden die beiden großen Jahrhundertaufgaben – soziale Demokratie und Nachhaltigkeit – miteinander verbunden. Das ist die Schlüsselfrage, um zu neuem Fortschritt zu kommen. Die unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation sind soziale Sicherheit, Gerechtigkeit und die Perspektive eines guten Lebens. Schade, dass die SPD die Gedanken ihres langjährigen Mitglieds Ernst Ulrich von Weizsäcker nicht mehr und besser nutzt. Umso mehr wünsche ich ihm weiterhin einen langen Atem.
war Sprecher der SPD in der Klima-Enquete des Deutschen Bundestages und ist Bundesvorsitzender der NaturFreunde.