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Erneuerung der SPD: Inhalte statt Neuanstrich

Wie steht es um die Demokratie in Deutschland und Europa? Beim Herbstforum der Berliner Friedrich-Ebert-Stiftung entstand der Eindruck, dass es zumindest für die Sozialdemokratie schlecht aussieht – wenn nicht die richtigen Weichen für die Zukunft gestellt werden.
von Markus Hüttmann · 19. Oktober 2017
"Ich kann kein Nationalist sein": Auf dem Herbstforum der Friedrich-Ebert-Stiftung analysiert Colin Crouch die Krise der Sozialdemokratie in Europa und fordert eine Rückbesinnung auf den Kampf für soziale Gleichheit.
"Ich kann kein Nationalist sein": Auf dem Herbstforum der Friedrich-Ebert-Stiftung analysiert Colin Crouch die Krise der Sozialdemokratie in Europa und fordert eine Rückbesinnung auf den Kampf für soziale Gleichheit.

Nach den historischen Niederlagen der SPD und der österreichischen Schwesterpartei SPÖ bei den jüngsten nationalen Wahlen hatte sich der ursprüngliche Plan für die Veranstaltung sehr schnell erledigt. Eigentlich sollte es am Montagabend unter dem Dach der Stiftung um Krisenerscheinungen in den westlichen Demokratien und wachsende politische Ungleichheit gehen. Dazu waren der Soziologe und Politikwissenschaftler Colin Crouch von den Universitäten von Oxford und Warwick, die Philosophin Susan Neiman und die scheidende Juso-Bundesvorsitzende Johanna Uekermann eingeladen. Stattdessen wurde aber hauptsächlich über Gegenwart und Zukunft der Sozialdemokratie diskutiert.

Ausführlich analysierte Colin Crouch in seinem Vortrag die Geschichte der Sozialdemokratie in Europa. Deren aktuellen Zustand fasste er so zusammen: „Fragmentiert und weit entfernt von einer tonangebenden Stellung“ sei die europäische Linke. In den neuen osteuropäischen Demokratien nach dem Ende der Sowjetunion ohnehin schwach, litten mittlerweile sozialdemokratische Parteien in ganz Europa unter teils dramatischen Bedeutungsverlusten, von der griechischen „Pasok“ über die französische „Parti socialiste“ und die spanische Arbeiterpartei PSOE bis hin zu den jüngsten Wahlniederlagen von SPD und SPÖ.

Ursachen liegen in der Vergangenheit

Die Ursachen für diese Entwicklung benannte Crouch sehr deutlich. In den 80er Jahren hätten der frühere US-Präsident Ronald Reagan und die damalige britische Premierministerin Margaret Thatcher begonnen, die neoliberale Politikwende unter anderem mit Deregulierung und Sozialabbau voranzutreiben. Statt diese Politik zu bekämpfen, hätten Parteien links der Mitte das Programm in seinen Grundzügen übernommen und die neoliberale Ideologie verinnerlicht.

Den Anfang hätten Bill und Hillary Clinton mit ihrem „Third Way“ innerhalb der Demokratischen Partei in den USA gemacht, später seien unter anderem Tony Blair mit „New Labour“ und Gerhard Schröder mit der „Neuen Mitte“ nachgezogen. Deswegen, so Crouch, konnten sozialdemokratische Parteien auch nicht von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 profitieren: Sie selbst hätten schließlich die sich nun als fatal herausstellende Deregulierungspolitik in ihren Grundzügen mitgetragen und konnten somit keine glaubwürdige Alternative stellen.

Mit schwerwiegenden Folgen: Der Kampf um wirtschaftliche und soziale Gleichheit habe an Bedeutung verloren. Stattdessen sei es Rechtspopulisten und Rechtsextremen gelungen, die schon totgeglaubte Konfliktlinie zwischen Weltoffenheit und Nationalismus, Stillstand und Veränderung wieder in den Fokus zu rücken.

Vorbild Corbyn?

Fehlende Glaubwürdigkeit war dann auch für Johanna Uekermann eine zentrale Ursache für die historische Wahlniederlage der SPD gewesen: Den von einigen Kommentatoren nach der Bundestagswahl gezogenen Schluss, mit dem Thema Soziale Gerechtigkeit sei bei Wahlen kein Blumentopf zu gewinnen, hält sie für falsch. Die SPD habe „kein klares Profil“, ihr werde „kein Klassenstandpunkt“ zugesprochen, vielmehr solle sich die Partei fragen: „Wozu braucht es die Sozialdemokratie heute noch?“. 

Im Zusammenhang mit solchen Aussagen fiel an diesem Abend auch mehrmals wohlwollend der Name „Jeremy Corbyn“. Der Vorsitzende der britischen Labour Party konnte mit Klassenkampfparolen und einem klar linken, konfrontativen Programm bei den Wahlen zum britischen Unterhaus im Juni dieses Jahres einen Überraschungserfolg gegen die konservativen Tories von Premierministerin Theresa May erzielen. 

Neues Grundsatzprogramm gefordert

Der Begriff der „Klasse“ sagt allerdings nicht jedem im Saal zu. Einer langjährige SPD-Genossin behagte Uekermanns Ausspruch von fehlendem „Klassenstandpunkt“ überhaupt nicht. Sie forderte stattdessen mehr „Emotionalität“ von der SPD. Das wies Uekermann als zu kurz gedacht zurück: Statt einmal mehr auf bessere Kommunikation für die gleichen Inhalte zu setzen, brauche die Partei einen „inhaltlichen Erneuerungsprozess“. Ein neues Grundsatzprogramm müsse her, das Hamburger Programm von 2007 habe „ausgedient“, sagte sie. Die SPD müsse weniger eine „Sowohl als auch-Partei“ sein, erklärte Uekermann und forderte: Die SPD muss „Leuten auf die Füße treten“.

Weitere Informationen über und einen Mitschnitt des Herbstforums gibt es hier.

Autor*in
Markus Hüttmann

ist bis zum 1. Dezember 2017 Praktikant in der Redaktion des vorwärts. Der gebürtige Hamburger studiert Politikwissenschaft im Master an der Freien Universität Berlin.

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