Parteileben

In Erftstadt hat die SPD schon eine Doppelspitze

Um politisch wieder erfolgreich zu sein, muss sich die SPD grundlegend erneuern. An der Parteibasis gibt es bereits viele gute Ideen - vom digitalen Ortsverein bis zur ­Doppelspitze.
von Paul Starzmann · 20. Februar 2018
SPD-Bundesparteitag
SPD-Bundesparteitag

Die Mitgliederversammlung eines SPD-Ortsvereins kann ganz schön trocken sein. Oft muss eine ellenlange Liste an Tagesordnungspunkten durchgearbeitet werden. Stundenlang kann das dauern. Die eigentliche Politik, die Diskussionen an der Basis, die gemeinsamen Aktionen der Genossen – nicht selten wird all das überlagert von Anträgen zur Geschäftsordnung oder detaillierten Berichten zur Kassenprüfung. Für Außenstehende und Neumitglieder wirkt die Parteiarbeit an der Basis deshalb oft nicht zeitgemäß. Es ist klar: Die SPD muss sich erneuern, um politisch erfolgreich zu sein.

Abstimmen über das Internet

Für den Hamburger Sozialdemokraten Sebastian Jahnz liegt die Zukunft der Partei im Digitalen. „Wir machen jetzt Basisarbeit so, wie sie in die Zeit passt“, erzählt er stolz. Vor rund eineinhalb Jahren haben Jahnz und einige Genossen aus dem Hamburger Stadtteil Altona den ersten „digitalen Distrikt“ innerhalb der SPD gegründet. In Hamburg heißen die Ortsvereine „Distrikte“. Zehn gibt es insgesamt in Altona, davon existiert einer ausschließlich im Netz. Der Name: Dockland – eine Art Hafen für „digital natives“, eine Anlegestelle für junge Genossen, die Politik online betreiben wollen.

Das Ziel ist nicht, die Sitzungen des klassischen Ortsvereins im Gasthaus oder dem Kreisbüro zu ersetzen, betont Jahnz. „Was wir digitalisieren, ist die politische Alltagsarbeit“, sagt er. „Es geht darum, die Statuten wegzudigitalisieren.“ Gemeint ist: Ein Großteil der alltäglichen OV-Arbeit, wie sie das Regelwerk der Partei vorschreibt, wird online erledigt. Abstimmungen über Anträge oder Beschlüsse von Sitzungsprotokollen ­laufen übers Internet.

In der Testphase

So könne jeder seine Mitgliedsrechte immer und überall wahrnehmen, sagt Jahnz. Im echten Leben, wenn sich die Mitglieder des digitalen Distrikts offline treffen, bleibe dann mehr Zeit für die eigentliche Politik. „Was wir nicht mehr machen, ist Tagesordnungspunkte abzuarbeiten“, erklärt er. „Wenn wir uns treffen, dann verbessern wir die Welt.“

Der Distrikt Dockland befindet sich derzeit in der Testphase, mehr als 16 Genossinnen und Genossen sind deshalb noch nicht mit an Bord. Bislang können nur SPD-Neumitglieder beitreten, weil der digitale Distrikt den Offline-Ortsvereinen keine Konkurrenz machen will. Im Februar läuft die Probezeit aber aus, nach einem abschließenden Test der Software, dem „Reality-Check“, wie Jahnz sagt. Dann könnte der digitale Ortsverein ausgebaut werden – und bald auch über die Grenzen Hamburgs Schule machen.

Einstimmig für die Doppelspitze

Fast 400 Kilometer südwestlich der Elbe, im rheinischen Erftstadt, arbeitet die Parteibasis ebenfalls an der Erneuerung der Sozialdemokratie. In der Kleinstadt nahe Köln hat der SPD-Ortsverein mit Susanne Loosen und Matthias Hossfeld seit Anfang Januar ein Duo an seiner Spitze. Es ist ein Novum. Erst seit Dezember 2017 ist das überhaupt möglich. Damals hat der SPD-Bundesparteitag in Berlin auf Antrag der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) beschlossen, dass es auf OV-Ebene Doppelspitzen geben kann.

Nur wenige Wochen darauf kandidierten Loosen und Hossfeld gemeinsam für den Vorsitz ihres Ortsvereins. Mit 87 Stimmen wurden sie bei zwei Enthaltungen gewählt. „Ich war überrascht, wie offen alle dafür waren“, erinnert sich Loosen. Ihrem Ko-Vorsitzenden Hossfeld gefällt die Idee der Frau-Mann-Doppelspitze schon lange. Bei den Grünen habe er die paritätische Besetzung von Führungspositionen immer bewundert, erzählt er.

Wichtiges Zeichen

„Wir sind leider zum Teil immer noch eine Patriarchat-Partei“, sagt er. „Deshalb ist es für mich ein so wichtiges Zeichen nach außen, dass wir jetzt auch Doppelspitzen haben. Wir müssen eine Team-Partei sein.“

Die doppelte Besetzung von Führungspositionen biete viele Vorteile, sind sich Loosen und Hossfeld einig. „Matthias ist Ingenieur, der kann gut abstrakt Ideen entwickeln“, lobt Loosen. „Ich kann sehr gut organisieren“, ergänzt die gelernte Bürokauffrau. Mit dieser Aussage ist ihr Genosse Hossfeld allerdings nicht einverstanden, zu bescheiden klingt ihm das. Vor seiner Ko-Vorsitzende und deren Ideen hat er größten Respekt: „Wenn die Susanne etwas sagt, dann sollte man besser genau darüber nachdenken“, findet er. Die beiden scheinen gut miteinander auszukommen – auch wenn sie politisch nicht immer auf einer Linie liegen. Aber: „Wir quatschen natürlich nicht durcheinander bei Vorstandsitzungen“, sagt Loosen.

Belastung auf zwei Schultern

Für Hossfeld ist die Idee der Doppelspitze vor allem für die Kommunalpolitik wichtig. Auf Bundesebene gebe es in der Partei ja eine Reihe bekannter Gesichter, in den Städten und Gemeinden sei das aber oft nicht der Fall. „Die Fixierung auf eine Person ist für mich sowas von 80er Jahre“, sagt er. Die Ein-Mann-Spitze im Ortsverein gehört für Hossfeld zu Konzepten aus vergangener Zeit.

Aber auch aus ganz praktischen Gründen sei es ein Fortschritt, dass die 300 Mitglieder der SPD in Erftstadt von einem Zweier-Team angeführt werden. „Wir ergänzen uns gut“, sagt Hossfeld. Die beiden Vorsitzenden teilen sich die Arbeit gerecht auf. In Nordrhein-Westfalen finden in zwei Jahren Kommunalwahlen statt. Da gebe es jetzt schon allerhand zu tun – „knallharte Vorbereitungen“ nennt es Hossfeld. Gut, wenn die Belastung auf zwei Personen verteilt werden könne.

Offene Diskussion

Für zwei Jahre sind Loosen und Hossfeld gewählt. Nach nur wenigen Wochen im Amt sei es noch zu früh für eine Zwischenbilanz, sagen die beiden. In einem Jahr könnten sie vielleicht ein erstes Fazit ziehen. Hossfeld regt an, in der Bundesebene dann einen Ansprechpartner für das Thema Doppelspitze einzuführen, damit die Genossen ihre Erfahrungen austauschen können. Die Idee der geteilten Führungsrolle können die Genossin und der Genosse aus Erftstadt schon jetzt empfehlen. „Das muss aber natürlich nicht jeder machen“, sagt Loosen.

Wie es weitergeht mit dem OV-Duo wird sich zeigen. Für Hossfeld ist wichtig, dass die beiden auch der inhaltlichen Auseinandersetzung im Vorstand nicht aus dem Weg gehen und als Ko-Chefs auch mal einen politischen Streit austragen können. „Einstimmigkeit ist kein Selbstzweck“, betont er. Wichtig ist ihm ein eine offene Diskussion – innerhalb des Vorstands, aber auch mit den Mitgliedern im Ortsverein: „Es darf nichts unausgesprochen bleiben.“

Niemand fällt ins kalte Wasser

Auf einen offenen Umgang mit den Mitgliedern setzt auch André Soudah. Er ist Vorsitzender des OV Leipzig-Mitte, der mit rund 300 Genossen der größte Ortsverein in den neuen Ländern ist. Als er sein Amt vor einem Jahr antrat, fand Soudah rund 250 Karteileichen vor, erinnert er sich. Die Mitgliederversammlungen seien mit rund 15 Teilnehmern oft schlecht besucht gewesen. Heute sehe das ganz anders aus: 40 bis 50 Menschen kämen jetzt regelmäßig zusammen.

Die steigende Zahl an Teilnehmern bei den Treffen führt Soudah, der seit 20 Jahren in der SPD ist, auf ein neues Selbstverständnis seines Ortsvereins zurück. An der Basis sei die Partei für viele ein Ort, um Kontakte zu knüpfen, ein Netzwerk aufzubauen bis hinauf in die hohe Politik, sagt er. Für viele sei die Mitgliederversammlung aber auch ein Platz zum Wohlfühlen, wo Zeit für persönliche Kontakte und Freundschaften sein müsse. Dafür will Soudah als Vorsitzender sorgen.

Neumitglieder mit Einzelbetreuung

„Bei uns wird niemand ins kalte Wasser geworfen“, sagt er mit Blick auf die fast 100 Neumitglieder, die seit Anfang 2017 in Leipzig-Mitte hinzugekommen sind. Wer neu in die SPD kommt, werde in Leipzig persönlich willkommen geheißen. Niemand müsse die Partei auf eigene Faust erkunden, sagt Soudah. Er sieht sich als Ortsvereinschef der Erneuerung der Sozialdemokratie verpflichtet. Deshalb kümmert er sich um die Neuzugänge, betreut sie teilweise einzeln. Er geht mit ihnen Kaffeetrinken, Mittagessen oder auf ein Feierabendbier, um zu hören, was sie in der SPD erreichen wollen. Ansprechbar will er sein, sagt Soudah: „Die Neuen kommen bei uns nicht in einer anonymen Gruppe an.“

Unter den „Neuen“ seien einige Juristen, erzählt Soudah. Auch ein Pressesprecher sei vor kurzem eingetreten, genau wie ein Veranstaltungsmanager – alles Menschen, die an der Basis wichtige Arbeit leisten können. Genau darauf setzt Soudah, wenn es um die Erneuerung der SPD geht: „Wir sollten vor allem die ­Kompetenzen der Mitglieder nutzen.“

Autor*in
Paul Starzmann

ist promovierter Sprachwissenschaftler und war bis Mai 2018 Redakteur beim vorwärts.

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