Parteileben

Entschleunigung ist Trumpf: Wahlkampf der „Marke Eigenbau“

Plakate aufhängen können alle. Plakate stilecht durch die Gegend fahren kann nur Phil Kilzer. Auf seinem Mofa befestigte der 14-Jährige Juso Wahlplakate von Martin Schulz und Ursula Schulte. Sein Rezept: Langsam, aber auffällig.
von Robert Kiesel · 4. September 2017
Ursula Schulte
Ursula Schulte

Ursula Schulte kann sich glücklich schätzen: Nicht weil ihr Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag schon fest stünde, ganz im Gegenteil. Mit Johannes Röring hat sie einen mächtigen Kontrahenten der CDU, der neben dem Vorsitz des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbands zahlreiche Aufsichtsratsposten besetzt. Im Ranking der Bundestagsabgeordneten mit den höchsten Nebeneinkünften landete Röring zuletzt auf Rang 2. Schulte jedoch hat, was man mit Geld nicht zahlen kann: Kreative Helfer, die für ihre „Ulla“ einiges in die Waagschale werfen - wenn es sein muss auch täglich.

Ein Mofa - zwei Kandidaten

Phil Kilzer ist einer davon: Mit 14 in die SPD eingetreten, sorgt er für den Blickfang schlechthin im Wahlkreis Borken II. Das Mittel der Wahl: Ein Mofa der Reihe Zündapp Bergsteiger, Baujahr 1975, 1,5 PS Leistung und 25 km/h Höchstgeschwindigkeit. Auf der Rückbank hat Kilzer die Wahlplakate von Martin Schulz und Ursula Schulte befestigt, an einem „gemütlichen Bastelsamstag“, wie der Hobbytischler sagt. Seitdem trotzen die beiden auf dem Heck seiner Zündapp Wind und Wetter. Während der Sommerferien chauffierte sie Kilzer täglich durch Bocholt und die nähere Umgebung. Seine Mission: „Aufmerksamkeit erregen, soviel wie irgendwie möglich.“

Die Reaktionen sind unterschiedlich: „Manche gucken komisch, einige machen Fotos, andere schütteln den Kopf“, erzählt Kilzer, der genau weiß, worauf es ankommt im Wahlkampf. „Wenn ich dadurch ins Gespräch komme, habe ich mein Ziel erreicht. Die Leute sollen mich wahrnehmen, sollen die SPD als eine Partei erleben, die unterwegs ist und zu ihnen kommt.“ Wenn Kilzer am Freitag- oder Samstagabend durch die Innenstadt tuckert, langsam und ohne jede Eile, erreicht er mehr junge Menschen, als zu jeder anderen Tages- oder Nachtzeit, so der Junior-Wahlkämpfer weiter. Der klassische Wahlkampfstand am Samstagvormittag erreiche die eben nicht. „Da schlafen die nämlich noch“, sagt Kilzer.

Wahlkampf-Gefährt als Türöffner

Ursula Schulte, die vor ihrer Abgeordnetentätigkeit die Pflege ihrer Großeltern und Eltern übernommen hatte, weiß das Engagement zu schätzen. Muss sie bei ihren Tür-zu-Tür-Runden quer durch den Wahlkreis doch immer wieder erleben, wie verschlossen die Menschen unweit der deutsch-niederländischen Grenze sind. „Die Schwelle ist schon sehr groß, auch wenn die Leute größtenteils freundlich sind“, erklärt Schulte, die bereits weit über 1.000 Hausbesuche gemacht hat. Längere Gespräche hätten sich verhältnismäßig selten ergeben, auch wenn die Menschen den Einsatz lobten, sich Zeit für das persönliche Gespräch zu nehmen.

Phil Kilzer dient hier, im wahrsten Sinne des Wortes, als Türöffner. Das Wahlkampf-Mobil im Hintergrund entlockt dem ein oder der anderen dann doch ein Lächeln. „Viele Leute hatten früher selbst ein Mofa, verbinden Erinnerungen damit, die dann ein Gespräch entfachen“, erzählt Kilzer. Im „schwarzen“ Münsterland und einem Wahlkreis, den die CDU fast immer mit absoluter Mehrheit gewann, ist allein das schon ein echter Erfolg.

Autor*in
Robert Kiesel

war bis März 2018 Redakteur des vorwärts.

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